3. Wandertag
Jimena de la Frontera nach Ubrique
10,75h / 39km
1.067m hoch / 852m runter
Was hab ich mir da eigentlich
aufgehalst?
Um 0645 stehe ich auf der Straße, es
ist noch stockdunkel und mucksmäuschenstill. Die einzigen Lebewesen,
die ich an diesem Sonntagmorgen auf dem Weg raus aus dem Dorf sehe,
sind zwei Katzen, die auf den Kanten der Müllcontainer balancieren.
Es nieselt, hat ungefähr 8° und ich weiß, daß alles Jammern heute
nichts nutzt. Ich habe mir diese Tour schließlich selber so
ausgesucht.
Kurz nach dem Campingplatz ist es auch
mit Straßenbeleuchtung vorbei, ich bringe die Kopflampe in Stellung.
Vorletztes Jahr habe ich mich noch leicht geschämt, daß ich über
90 EUR für eine Stirnlampe ausgegeben habe – die selbst erkorene
Krönung der technischen Gadgets. Mit Bluetooth und dazu passender
App. Aber das ist mir heute morgen total einerlei, das Ding leuchtet
hell und klar, und ich bin froh über jeden Euro, den ich investiert
habe.
An der letzten Straßenkreuzung, bevor
ich in die Wildnis abtauche, muß ich nochmal kräftig schlucken. Ein
Straßenschild zeigt den Weg nach Ubrique, meinem heutigen Tagesziel.
57 Kilometer. Mein Weg über die Berge wird Gott sei Dank ein ganzes
Stück kürzer sein.
Die nächsten zwei Stunden steil bergauf, über alte Steinpflasterwege, quer über Viehweiden. Langsam wird es hell und die Aussicht zurück auf Jimena ist klasse, ich sehe ein letztes Mal ganz hinten im Dunst Gibraltar, wo ich vor 3 Tagen gestartet bin.
Der Regen hat wieder aufgehört -- und ich höre genau hier übrigens auch auf, das entsprechend zu protokollieren. Den ganzen Tag über regnet es oder es regnet eben nicht. Kaum komme ich um eine Ecke, fängt es wieder an; komme ich am nächsten Stein vorbei, hört es wieder auf. Ich nehme mal vorweg, daß das Wetter regnerisch und windig war, genug damit ich am Ende des Tages durchgeweicht und durchgefroren ankam.
Die nächsten zwei Stunden geht es bequem auf schlammigen Forstwegen
bergauf. Außer dem verrammelten Wetterhäuschen auf einer Anhöhe sehe ich
keinerlei Zivilisation mehr. Dafür halten die Berge hier eine
Überraschung nach der anderen bereit. Nach den Viehweiden stehe ich
plötzlich in einem Pinienwald, eine Viertelstunde später rundum nur noch
karges Hochgebirgskraut, kurz danach Korkeichenwald. Das Wort des Tages
ist eindeutig: Abwechslungsreich.
Zwischendurch taucht der Weg in eine kleine enge Schlucht ein, wie in einem Tunnel zog sich der Pfad weiter bergauf, bis zu einem Sattel. Hinter den Weiden und Wiesen siehe ich die Ruine einer alten Bergalm, die hier wahrscheinlich Schafe, Ziegen oder Schweine gehalten hat. Wie lange das her ist? Wie lange das Haus schon verfallen ist? Es können 20, 50 oder 100 Jahre sein -- aus Stein aufgeschichtet, wieder zu einem Steinhaufen verfallen.
Inzwischen habe ich vollkommen das Gefühl verloren (oder verdrängt), wie lange ich eigentlich schon unterwegs bin. Zwischendurch sehe ich immer wieder einige Wegweiser, deren Zeitangaben ich aber nicht so richtig ernst nehme. Eines stimmt immerhin immer: In Summe macht's 10 Stunden...
Immerhin merke ich, daß es nicht mehr richtig weiter bergauf geht, sondern mehr oder weniger auf gleicher Höhe quer durch die Berge. Mein Bauchgefühl sagt mir, daß ich heute nicht mein Zelt aufbauen werde: Bei dem Mistwetter ist die Aussicht auf Zelten und Verzicht auf so Dinge wie Heiß! Duschen! eher unattraktiv. Aber vor allem fühle ich mich fit genug, um mich noch noch ein paar Stunden weiter durchzubeißen. Ich wundere mich etwas, daß ich diesen harten, ungemütlichen Tag ernsthaft schön finden kann. Beim Nachdenken wird mir dann der Unterschied zwischen Motivation und Disziplin beim Wandern klar: Heute war definitiv ein Disziplin-Tag. Es ging heute von Anfang an nie um Motivation oder "keine Lust mehr haben", sondern ich hatte mich voll auf "durchhalten!" eingestellt. Das hat gewirkt.
Einige Stunden weiter komme ich auf dem letzten Sattel, bevor es endgültig bergab geht, auf die Albergue de Calderona. Klingt erstmal total einladend nach Herberge und heißem Eintopf oder so .. weit gefehlt. War hier vielleicht mal in den 70ern. Jetzt ist es nur noch ein Schweinestall, der von anthrazitgrauen Iberícos bewohnt wird. Damit ist auch meine letzte trübe Hoffnung auf einen trockenen, windgeschützten Rastplatz oder einen passenden Zeltplatz (vielleicht sogar mit Quelle?) dahin. Diese Schlammschlacht haben die Schweine hier oben eindeutig gewonnen. Und ich muß die ganze Zeit daran denken, daß in meinem Rucksack folgende Lebensmittel lagern, die ich mir für ein schönes Picknick tagsüber aufgehoben hatte (oder das Abendessen im Zelt, das ich soeben endgültig abgewählt habe):
- 1 Baguette (ganz, aber geknickt)
- 1 Packung Schinken (der Gute für 1 EUR)
- 1 Packung Käse
- 1 0,33er Dose Bier (war halt noch übrig von gestern)
- 1,5l Wasser
- 1l Saft
- 4 0,33er Dosen Cola
Ich überschlage das mal eben als kleinen Service: rund 5kg. Die bereits auf dem Aufstieg konsumierten Getränke kämen da noch obendrauf...
Kopfschüttelnd über so viel Unvernunft bzw. Über-Vorbereitung mache ich mich an den Abstieg. Es wird auf dem Weg nach unten nochmal richtig naß und windig und erstmals ekelig. Das erste Mal auf dieser Tour fange ich an zu frieren.
Nach ca. 8h erreiche ich die Straße und überprüfe kurz meinen Zustand. Ich fühle mich gut k.o., aber ein bißchen was ist noch im Tank. Den Füßen geht's besser, als ich vermutet hatte. Ich spiele mit dem Gedanken, in den Berggasthof ca. 1/2h weiter die Straße runter einzukehren, aber gleichzeitig weiß ich, daß ich heute nie wieder in die Gänge kommen würde, wenn ich mich jetzt zu einem ausgiebigen Mittag-/Abendessen hinsetze. Und runter bis Ubrique sind's nochmal 10km.
Und plötzlich passiert es: Die Sonne kommt raus. Ich kann's kaum glauben. Rechtzeitig zum Panoramablick runter auf mein Tagesziel hebt sich die Wolkendecke und die Sonne fängt an, den patschnassen Wanderer langsam wieder aufzuwärmen. Irgendwann setze ich mich einfach mal 20min auf einen Stein am Straßenrand und genieße einfach nur die Wärme.
Die 10km Straße bergab geben mir den Rest, zumal ich die letzten 3km hinter einem ca. 70-jährigen Spanier im Jogginganzug hinterherlaufe, der mit auf dem Rücken verschränkten Armen auf ein Gläschen am Abend nach Ubrique läuft. Ich versuche aus Prinzip (=Stolz), ihn noch zu überholen, aber ich komme einfach nicht näher ran, sein Tempo ist zu hoch.
Völlig ausgelaugt laufe ich nach fast 11h unterwegs in meinem Hotel für heute Abend ein. Das Restaurant hat heute geschlossen (was ich vorher wusste), aber der wesentliche Grund für die Wahl dieses Etablissements: Es ist die allererste mögliche Übernachtungsmöglichkeit im Ort, wenn man aus den Bergen kommt. Alle anderen Läden hätten mindestens nochmal 1/2h Fußweg mehr bedeutet. Danke, ich bin bedient. Außerdem habe ich ja noch - haha - ein Abendessen im Rucksack.
Ich schäle mich aus den Stiefeln und Klamotten, dusche lange und heiß. Danach falle ich erstmal mit einem Seufzer aufs Bett und versuche, meine klappernden Zähne unter Kontrolle zu bringen, während die Sonne zum Fenster hereinscheint. Mir tut ganz schön viel weh, vor allem alles was mit Fuß zu tun hat. Aber wundert's mich? Ein Entschluß steht schonmal fest: Morgen ist Montag, daß heißt, die Post hat wieder geöffnet. Also werde ich morgen als allererstes die in den letzten Tagen im Kopf geschriebene Liste an unnützen Gegenständen aus dem Rucksack wieder in die Heimat schicken.
Ansonsten bin ich froh und stolz, diesen Tag geschafft zu haben. Morgen geht's weiter...
Guten Morgen,
AntwortenLöschenBis hierhin hat mir die Reise schon mal gefallen. Obwohl wir noch nicht weit gekommen sind. Ich hoffe Du machst nicht schon auf den ersten Metern schlapp. Denn ich habe viel Zeit und freue mich mit Dir weiter zu wandern.
Also frische Socken an und weiter geht’s.
Gustl
Respekt! Das Sichten deiner Bilder bestärkt unseren Entschluss in den Osterferien Südspanien anzufliegen. Liebe Grüße aus Köln!
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