Montag, 30. April 2018

Pausentag: Nur rumgebummelt!

Meine Erkältung hat sich inzwischen weiter in den Hintergrund verzogen. Einerseits huste und schnupfe immer noch etwas rum (hab mir heute zur Sicherheit auch gleich mal wieder Taschentuch-Nachschub gekauft; der Rucksack ist also plötzlich zu 30% mit Taschentüchern gefüllt...). Andererseits merke ich, daß mich in keiner Weise mehr krank fühle oder die Erkältung meine Leistungsfähigkeit beeinflußt.

Trotzdem konstruiere ich heute Morgen ein Argument mir selbst gegenüber, wieso ich einfach im Bett liegenbleiben darf, statt eine ausgedehnte Fototour das Borosa-Tal hinauf zu machen: Mir - äh, hm - tun die Füße weh! Ja, genau, das ist es. Mir tun die Füße weh. Also kann sicherlich niemand von mir verlangen, daß ich mich zu einer Wandertour aufraffe, die zu mindestens 50% entlang des Weges zurück geht, den ich gestern schonmal gelaufen bin. Genau, mir tun die Füße weh. Gute Idee...

Also mache ich statt dessen dieses:
- Ausschlafen
- Lesen
- Wäsche waschen
- Blogeinträge nachholen (nach der Bilder- und Textflut der beiden letzten großartigen Wandertage vielleicht verständlich)
- Essenszubereitung
- Essensvertilgung (Schwerpunkt)
- auf der Terrasse in der Sonne sitzen und den Wolken zuschauen (unterstützt von Cruzcampo)

...und vielleicht ein bißchen das, was die IKEA-Werbung "wohnen" nennt, nämlich das, was auf dieser Reise sonst immer etwas zu kurz kommt. Sich irgendwo einrichten, irgendwo rumhängen, nicht sofort an den Aufbruch denken.

Der Aufbruch kommt früh genug, in meinem Fall morgen sehr früh. Es wartet ein knackiger 30km-Tag mit vielen Höhenmetern, wahrscheinlich bin ich wieder so 10h unterwegs. Bei dem Bummelschritt auch kein Wunder...

Sonntag, 29. April 2018

Stille Forstwege durch vollkommen einsame Bergtäler.

Mittwoch, 25.04.2018
23. Wandertag
Arroyo Frio nach Coto Ríos
9h / 35km 
836m hoch / 960m runter

Wenn gestern der Tag der landschaftlichen Höhepunkte war, konnte der heutige Wandertag durch das genaue Gegenteil punkten, und das meine ich nur positiv. Durch stille Tiefe, meditative Ruhe und großzügige Gemächlichkeit.

Ich starte früh in einen bedeckten Tag, weil ich noch nicht so ganz genau weiß, was mich erwartet. Gestern hatte ich den GR-7 verlassen, um in Arroyo Frio zu übernachten, daher bleibt mir heute nur die Wahl, mich irgendwie wieder zurück auf den GR-7 zu kämpfen oder den ganzen Tag unten im Tal auf der Straße zu laufen. Auf der Karte hatte ich einen kleinen Pfad entdeckt, der sich von Arroyo Frio unten im Talgrund quasi auf direktem Wege hoch in die Berge zieht, um dort oben, zwei Täler weiter, wieder auf den GR-7 zu treffen. Sieht erstmal gut aus. Aber die Entscheidung für diesen Weg ist eine kleine Wette: Wenn der Weg existiert und begehbar ist, ist er eine gute Abkürzung - und auch die einzige Möglichkeit. Wenn nicht, dann bleibt nur umkehren und den ganzen Tag Asphalt fressen. Was dann doppelt bitter wäre.

Entsprechend aufgeräumt steige ich den steinigen Forstweg zu dem Cortijo oberhalb von Arroyo Frio auf, von wo der Pfad abzweigen soll. Die Hunde des Gehöfts haben mich schon weit vorher gewittert und schlagen an, und als die Ziegen mich auch entdecken und in meine Richtung gucken, weiß auch der alte Bauer da drüben, wohin er schauen muß, um den Fremdkörper zu entdecken. Ich winke ihm unverbindlich vom Weg aus zu und schlage mich dann den Hang hinauf, tatsächlich einem steinigen Pfad folgend. Eigentlich gut zu erkennen (siehe oben), aber halt auch in der Art eines Holzweges, bei dem man nie so richtig weiß, ob er nach der nächsten Kurve vielleicht einfach endet.

Die nächste Stunde ist Aufstiegstraining pur, steil und wild und steinig führt der Weg um die 500 Höhenmeter aus dem Tal heraus bis hoch auf den ersten kleinen Paß. Ich preise mehrfach das GPS, ohne das ich diesen Pfad sicherlich nie gefunden bzw. in Angriff genommen hätte. Auf dem Sattel mache ich eine Pause im einladenden Gras des Talkessels, hole mein ausgelassenes Frühstück nach und bin schonmal glücklich und zufrieden, daß der schwerste Teil geschafft ist. Auf kleinen stillen Wegen, auf denen sicherlich seit Wochen niemand unterwegs war, schlängele ich mich durch bis zur Forststraße, wo ich wieder auf den GR-7 treffe.

Entgegen aller Gewohnheiten und zum ersten Mal auf dieser Reise habe ich mich beim Aufstieg dazu hinreißen lassen, die Wanderstöcke einzusetzen. Wie sehr habe ich mich jahrelang dagegen gewehrt, fand die Dinger wahlweise immer zu sperrig, zu peinlich, ständig im Weg, nicht dem Takt meiner Schritte ensprechend oder schlicht unnötig. Jetzt, bei diesem Aufstieg, hab ich's endlich kapiert: Die Dinger können was. Und sie helfen. Daß ich das auf meine alten Tage nochmal...

Oben auf dem Puerto del Calvario, dem höchsten Paß des Tages, mache ich natürlich eine verdiente Rast, lasse mir stolz den Wind um die Nase wehen und freue mich auf den Rest der Etappe. Der Karte nach ein entspanntes Abwärtsschlendern über Forststraßen, keine nennenswerten Aufstiege mehr, alles gemächlich, nix Steiles. Und genau so wird es auch kommen.

Ich laufe an der Casa Forestal de Roblehondo vorbei, ein unbewohntes Forsthaus mitten im einsamsten Teil dieser entlegenen Bergtäler. Schneeweiß leuchtet das Gebäude aus dem dunklen Grün der Bäume hervor, mit weiter Aussicht auf die umliegenden Täler. Für mindestens die nächsten 3h wird dieses Gebäude immer noch oben am Hang als winzig kleiner Punkt zu sehen sein, während ich auf Coto Ríos zuwandere.


Ich sehe den ganzen Tag über keinen einzigen Menschen, kein Auto, kein gar nichts. Nur Berge, Täler, Wald und Wasser. Außer dem Wind höre ich nur Geräusche, die ich beim Gehen selber verursache. Der Forstweg ist perfekt angelegt, ich bewundere diese Ingenieurskunst, die es fertiggebracht hat, einen Weg von vielleicht 15km Länge in großzügigen Schleifen mit nahezu gleichbleibendem Gefälle in die Berge zu zimmern. Die Stunden des Abstiegs nehmen daher schon fast meditative Züge an, während ich ganz alleine durch die Täler laufe.


Am sehr späten Nachmittag treffe ich auf das Tal des Rio Borosa, im Sommer und an den Wochenenden und vor allem an den Sommerwochenenden eindeutiges Tourismusgebiet. Weiter oben im Tal des Rio Borosa scheint sich der Weg zu einem schmalen Pfad direkt neben dem Wildbach zu verengen, so wie ich das von frühen Familienwanderungen in der Partnachklamm her erinnere. Aber ich habe bin schon 9h unterwegs, habe noch ein ordentliches Weg vor mir und verzichte deshab darauf, noch einen zusätzlichen Erkundungs-"Umweg" ins Borosa-Tal mitzunehmen. Das kann ich mir immer noch für morgen auf's Programm schreiben, denn ich habe schon wieder einen Pausentag eingeplant. Ich habe mir halt geschworen, es langsamer angehen zu lassen als beim letzten Mal...

Die halbe Stunde entlang des Rio Borosa bis runter ins Tal des Guadalquivir ist allerdings auch ganz ansehnlich. Das Tal serviert dutzende Quellen mit lecker Quellwasser, ein paar verirrte Abendspaziergänger, rauschende Wildbäche, eine Patrouille der Guardia Civil und die Sonne, die sich für den Abend langsam durch den bedeckten Himmel drängt. 

Die letzte Stunde Weg führt entlang des Guadalquivir durch seltsam entrückte Flußauen, kleine sumpfige Waldstücke, aufgegebene Olivenhaine, durch die kreuz und quer die Quellbäche fließen. Kurz vor Coto Ríos die übliche Ansammlung von kleinen Gärten, blühende Apfelbäume, saftige Wiesen, in den Gemüsegärten buddelnde Dorfbewohner. Coto Ríos ist ein etwas seltsames, auf dem Reißbrett angelegtes Dorf, aber das ist mir heute total schnuppe. Mein Apartment gefällt mir gut, direkt gegenüber ein kleines Restaurant, 30m weiter ein Mini-Supermarkt, ich habe also die volle Auswahl. Nach der Dusche merke ich, daß mir heute der Sinn nach selber kochen steht, statt im Restaurant spanische Namen von Gerichten zu erraten...

Eindeutig ein Good Boy, wenn auch ein viel zu seltenes Beispiel.

Samstag, 28. April 2018

Yes, Baby! Aussicht!

Cazorla, mit den ersten 2 Burg(ruinen) des Tages
Dienstag, 24.04.2018
22. Wandertag
Cazorla nach Arroyo Frio
6h / 26km 
1.064m hoch / 1.081m runter

So richtig 100% bin ich noch nicht wieder auf dem Dampfer, aber ich kann einfach noch länger in Cazorla rumsitzen.. Daher ignoriere ich die Resterkältung einfach offensiv, packe meinen Rucksack und trete nach einem großen Pott Kräutertee zum Frühstück hinaus auf die Straße.
Es fühlt sich nicht so ganz richtig an, meinen noch nicht gesunden Körper heute weiterzutreiben, aber das Fleisch ist schwach, der Geist hingegen sehr willig. Daß ich damit auch ein gewisses Risiko eingehe, indem ich z.B. irgendwann heute Mittag am Berg kapituliere, weil mein Kreislauf nicht mehr mitmacht oder mein Kopf explodiert, nehme ich Kauf. Eigentlich sollte ich es besser wissen, schon zu oft habe ich beim Wandern solche "Ich-will-jetzt-aber!"-Entscheidungen getroffen, die ich am Ende bitter bereut habe. Aber vielleicht ist heute auch einfach der Tag, an dem man probiert, ob's vielleicht klappt.

Der Morgen ist kühl und sonnig. Der Aufstieg zur "Ermita de la Virgen de la Cabeza" ist steil, verläuft aber gnädigerweise im Schatten, den die Berge am Vormittag auf Cazorla werfen. Aussicht wird sofort serviert, ein letztes Mal kann ich über die endlosen Olivenplantagen hinweg ganz hinten am Horizont die Sierra Mágina erahnen, daneben Jódar mit dem als hellen Fleck erkennbaren Steinbruch.


Oben an der Kapelle schaue/höre ich ein bißchen den beiden Männern zu, die eben extra mit dem Auto aus Cazorla hier hochgefahren sind, um die Glocken zu läuten. In der Kirche haben sich offensichtlich inzwischen auch die neuzeitlichen Brandschutzvorschriften durchgesetzt: Statt Kerzen zum Anzünden wie früher gibt es (siehe rechts unten im Bild) ein kleines Pult mit LED-beleuchteten Kerzenimitationen hinter Plexiglas, die man für 20 Cent zum Leuchten bringen kann. Ich kichere spöttisch in mich hinein - und ärgere mich 10min später dann doch darüber, daß ich mir das habe entgehen lassen.

Die nächsten 2h verbringe ich mit Aufstieg, Aussicht auf La Iruela und das dazugehörige Castillo (noch mehr Burgen...), strahlendem Sonnenschein, frischem Wind, schmalen steinigen Pfaden, noch mehr Aussicht und einem guten Gefühl im Magen, daß sich der Tag bisher echt gelohnt hat.


Von einer halbverfallenen Hochalm, in der wahrscheinlich noch ein paar Ziegen wohnen, führt eine alte Steinstraße über einen majestätischen Felssporn ein paar hundert Meter hinab in Richtung Dorf. Ich erspähe zwei Wanderer, die irgendwo da vorne in dieselbe Richtung wie ich unterwegs sind. Das Gelände wird rauer, steiniger, weniger waldig - dafür nimmt der Wind immer mehr zu.
Ein altes Refugio im Betonbunker-Look sieht im ersten Augenblick aus wie eine gute Idee zur Mittagsrast, aber durch die fehlenden Fenster pfeift der gebündelte Wind wie Hechtsuppe und kühlt mich viel mehr aus, als wenn ich mir ein schattiges, aber windgeschütztes Plätzchen gesucht hätte.


Während ich im Wind sitze und dafür sorge, daß ich demnächst weniger Lebensmittel auf dem Rücken schleppen muß, vermesse ich im Geiste den verbleibenden Anstieg bis hoch auf den Sattel - danach geht's für heute eigentlich nur noch runter. Ich merke, daß der bisherige Aufstieg zusammen mit der Rest-Erkältung doch schon gehörig an meinen Kraftreserven genagt hat, aber was soll's. Ich war ja schon immer nicht so stark am Berg...

Suchbild: Wo sind die Wanderer?
Bei dem Versuch, den alten Camino zu fotografieren, auf dem ich mich schon den ganzen Vormittag nach oben schraube, knipse ich aus Versehen die beiden Wanderer von vorhin (ich hatte sie erst NACH dem Foto überhaupt bemerkt), grüße freundlich und kämpfe mich die letzten Meter bis hoch zum Grat. Oben erwartet mich noch mehr Wind, der letzte Blick zurück nach Südwesten auf die Olivenplantagen, die Sierra Mágina und alle die Kilometer der letzten Tage/Wochen. Und in der Gegenrichtung vor allem endlich die freie Sicht hinein in die Täler und Gipfel der Sierra de Cazorla.


Der Abstieg auf dem alten gemauerten Camino ist sanft und stetig. Inzwischen grillt mich die Sonne ziemlich durch und ich freue mich über jedes bißchen Schatten auf dem Weg. Es ist ein entspanntes Bergabschlendern, bis auf den kleinen Abschnitt, den ein Bergrutsch in eine Schotterhalde verwandelt hat, über die es sich mit vollem Gepäck deutlich wackeliger balanciert, als es mir lieb ist. Bei dieser Gelegenheit zahlt sich 100.000-fach aus, daß ich mein GPS-Gerät noch mit einem Gurt am Rucksack gesichert habe -- beim Kraxeln über die Steine schaffe ich es irgendwie, daß mir das Ding aus der Hosentasche rutscht. Wenn das GPS ausgerechnet HIER den Abhang runtergefallen wäre, wäre ich schön blöd dagestanden.

Auf den Schreck hin gönne ich mir unten an der Straße erstmal eine ausgiebige Rast. An der Fuente del Oso gibt es nicht nur leckeres Quellwasser, sondern auch noch aus großen Steinen aufgebaute Picknicktische. Sowas kann ich nicht links liegen lassen und verbringe locker mehr als eine Stunde mit Lesen, Essen, Ameisen beobachten und ähnlich aufregenden Dingen.

Eine halbe Stunde weiter unten am Fluß wartet dann schon wieder der Tourismus: Der Guadalquivir ist ein herrlich grünblauer Gebirgsfluß, an dem sich ein riesiger Campingplatz angesiedelt hat. Ich stoße auf Reisebusse, Kindergeschrei, Hochseilgärten, Müllcontainer und allerlei anderen Trubel, der so gar nicht zur bisherigen Stille und Erhabenheit des Tages passt. Also ziehe ich schnell auf der Asphaltstraße weiter...

An der nächsten Kreuzung verlasse ich den GR-7 mutwillig und wende mich statt dessen der Cerrada del Utrero zu. Sah auf der Karte aus wie ein netter kleiner Pfad rund um einen kleinen Berg, mit ein bißchen Aussicht auf den Guadalquivir und vielleicht noch auf einen Wasserfall. Hatte ich eigentlich nur als Schmankerl vorgesehen, weil irgendwie auch ein Umweg, könnte man eigentlich auch abkürzen -- aber: Boy, was I wrong!

Ein schmaler Pfad kraxelt durch die Steingärten am Ufer des Guadalquivir entlang, taucht immer weiter in die immer schmaler und tiefer werdende Schlucht ein. Ein Stauwehr bildet den Auftakt für ein vollkommen unerwartetes Szenario: Riesige Felsmassive säumen eine tiefe Schlucht auf Kalkgestein ein, senkrechte Felswände über mir bis zum Himmel, tosende Wasserfälle, alles wie in einem Amphitheater angeordnet. Eine wirklich schwer beeindruckende halbe Stunde Weg, die ich um Himmels Willen niemals hätte auslassen dürfen.


Auch sonst habe ich den Rest des Tages nur noch Glück -- eigentlich hatte ich mich auf einen mühevoll steilen Abstieg querfeldein den Hang runter zur Straße eingestellt, denn auf der Karte war von hier oben kein Weg runter eingezeichnet. Nur die Straße, mit 4km Umweg... Aber es gibt einen deutlich sichtbaren Pfad von einem der Aussichtspunkte nach unten ins Tal. Die letzten Kilometer laufe ich entspannt an der Straße entlang im Schatten der Bäume. In Arroyo Frio empfängt mich als allererstes ein kleiner Supermarkt, in dem ich mich schonmal mit Getränken für morgen versorge. Vollkommen zufrieden und glücklich über diesen tollen Tag betrete ich mein Hotel und freue mich auf ein kühles Zimmer und eine Dusche.

Das - heute - war ein Bilderbuch-Wandertag, der in meiner losen und nicht dokumentierten Top 10 auf jeden Fall für lange Zeit einen Platz behalten wird.

Freitag, 27. April 2018

NOCH ein unfreiwilliger Pausentag... Grr....

Während des Frühstücks merke ich, daß Weiterlaufen heute noch nicht wirklich eine Option wäre. Ich bin ein triefendes, schniefendes, hustendes Häufchen Unfitness. Ganz entgegen meiner üblichen Angewohnheiten akzeptiere ich dieses Bauchgefühl als Schicksal und richte mich darauf ein, mich einen weiteren Tag zu schonen.

Gestern war mir nach einem ganzen Tag Schlafen und Dösen allerdings dermaßen langweilig, daß ich jetzt gerade mal dringend frische Luft brauche. Also gehe ich vor die Tür, um wenigstens ein bißchen Kulturprogramm abzugreifen. Aber Pustekuchen, mehr als ein kleiner Stadtbummel ist nicht drin. Die wesentlichen Sehenswürdigkeiten haben allesamt geschlossen wegen Montag. Grrr....

Also laufe ich noch ein bißchen ziellos durch die Gassen von Cazorla, um mir wenigstens die Illusion von "Rumkommen" zu erhalten und werfe mich dann mißmutig wieder zurück ins Bett. Was auch sonst, mit Rotz, Husten und Kopf.

Morgen mussmussmuss es mir wieder besser gehen, ansonsten krieg ich nen Rappel! Ich hab gerade 4 Wochen Pause gemacht, um meine Knie wieder herzustellen und kaum ist alles fit mit Schritt, da kommt von links oben eine Erkältung angetänzelt? Ich glaub's ja wohl...

Please stay tuned.

Cazorla, Marktplatz. Ja: Palmen. Und schick verzierte Häuser.
 

Donnerstag, 26. April 2018

Pausentag, anders als ich mir das vorgestellt hatte.

Letzte Nacht fast kein Auge zugemacht, sondern nur von links nach rechts gewälzt. Ich muß mir spontan irgendeine Erkältung eingefangen haben und merke stündlich, wie sich Nase, Hals und Kopf zu einem einzigen schmerzenden Ball des Jammers zusammenschließen.

Eigentlich wollte ich heute in Cazorla schön Sonntags-Kulturprogramm abspulen, das Castillo anschauen und ähnlich schicke Sachen machen, aber nach dem Frühstück lege ich mich sofort wieder ins Bett -- und werde es auch bis zu Abend nicht verlassen. Nach der Euphorie der letzten beiden Tage empfinde ich das als ungerechte Strafe und antiklimaktische Scheiße, aber das ändert natürlich gar nichts an irgendwas.

Mal gucken, wie es mir morgen geht.

Mittwoch, 25. April 2018

Hoch hinaus / hoch zufrieden.

Quesada. Schicker als erwartet...
Samstag, 21.04.2018
21. Wandertag
Quesada nach Cazorla
5h / 20km 
851m hoch / 689m runter

Der mißmutige Wirt unten in der Bar versorgt mich zum Frühstück mit einem Tee und einem Tostada. Ich wundere mich noch, daß seine Laune so gar nicht zu den restlichen freundlichen Leuten hier passt, aber vielleicht ist es auch für ihn einfach nur Samstagmorgen.

Draußen ist es bedeckt, vielleicht 15 Grad. Obwohl es mich etwas fröstelt, weigere ich mich standhaft, mir meine Jacke überzuziehen und durchkämme statt dessen die Straßen rund um den zentralen Platz von Quesada nach einer Panadería. In einer unscheinbaren Kurve werde ich fündig, es gibt sehr knackiges Brot und mit Fleisch gefüllte Empanadas. Die erste davon verdrücke ich, noch bevor ich den Ort verlassen habe. Und freue mich schon jetzt auf eine ausgiebige Mittagspause, irgendwo oben in den Bergen. Bitte mit Aussicht.

Aber das muß ich mir erstmal verdienen. Der Preis: Natürlich bergauf. Die nächsten 1,5h zuckele ich auf Betonpisten bergan, durch das Dickicht aus Gemüsegärten und Wochenendhäuschen, das Quesada umgibt. Irgendwo rechts schreit ein Pfau in seinem Gehege, links übt jemand in Seelenruhe Trompete. Ich setze mich ein paar Minuten in die Sonne, die gerade rausgekommen ist, und höre zu. Überall rödelt und lärmt es, als hätte das ganze Dorf kollektiv seine Häuser verlassen, um das Wochenende hier draußen in den Gärten zu verbringen. Ich reiße mich zusammen und mache mich wieder an den Aufstieg.

Links Quesada. Hinten mittig im Dunst liegen die Sierra Mágina und Jódar, wo ich gestern gestartet bin.
Der Weg schwenkt irgendwann nach links und führt entspannt und ohne weiteren Aufstieg am Hang entlang. Reflexartig packe ich die Hände in die Hosentaschen und genieße die Aussicht, den Wind und vor allem das Gefühl, daß der Winter endlich vorbei ist. Ich komme an einem einsamen Cortijo vorbei, aus irgendeinem Raum im Haus dringt laut spanische Popmusik, als würde sich gerade jemand auf das Wochenende einstimmen. 

Ich mache mich statt dessen auf das nächste Stück Anstieg hoch zum Paß. Mit Blick auf die Karte und auf die Hänge vor mir, überlege ich noch, ob ich vielleicht hier und da ein bißchen querfeldein kraxeln sollte, um die elendig weiten Serpentinen der Straße abzukürzen, aber am Ende siegt die Vernunft Faulheit und ich ziehe einfach gemählich die Betonpiste entlang.

Oben auf dem Paß packt mich der Wind, der von hinten aus dem Tal heraufbraust. Ich werfe den Rucksack auf die Wiese, ziehe erstmal Stiefel und Socken aus und gönne mir ein frisches Hemd, weil mir in den durchgeschwitzten Klamotten im Wind sofort empfindlich kalt wird. Dann öffne ich - mit all der in den letzten Stunden aufgebauten Vorfreude - den roten Proviantbeutel und genieße eine reichhaltige Mittagsrast. Frisches Brot, Schinken, Käse, Silberzwiebeln (mein in Spanien neu entdeckter Star jeder Wanderjause), dazu eine Fanta Limón. Eine halbe Stunde lesen ist auch noch drin, dann will ich wieder weiter - vor allem, weil der Weg jetzt endlich die Straßen und Betonpisten hinter sich läßt und in den Wald eintaucht.









Links in den sanften Hügeln unter mir sehe ich noch Olivenbäume, rechts von mir baut sich die Sierra de Cazorla auf, felsig, schroff, unkultiviert. Ich biege um die nächste Ecke und stehe unvermittelt vor einem Felspanorama, das ich so hier nicht erwartet hätte. Ein Wasserfall bahnt sich seinen Weg über die senkrecht abfallenden Klippen und stürzt über 100m senkrecht in die Tiefe. Der Wind verweht das Wasser und die Gischt, so daß es fast aussieht, als würde sich der Wasserfall auf halber Höhe in Nichts auflösen. Schon wieder muß ich ein paar Minuten stehenbleiben, um mir dieses Schauspiel anzusehen, aber ich habe ja schließlich genug Zeit dafür.

Auf dem nächsten kleinen Paß sitze ich noch eine knappe Stunde im Gras herum, höre dem Wind zu, der die Bäume zaust, lese ein bißchen. Ich erinnere mich an das zufriedene Gefühl, wenn ich manchmal in Norwegen ganz alleine in den Bergen sitze und in die Landschaft schaue, mittendrin, mit aller Zeit der Welt und einer tiefen Zufriedenheit in allem. So geht es mir auch heute.

Monasterio de Montesion
Auf dem unvermeidlichen Abstieg ins Tal schiebt sich ein altes halbverfallenes Kloster in den Weg, das Monasterio de Montesion. Keine Ahnung, ob hier noch jemand wohnt, oder ob die alten Gemäuer dem Verfall preisgegeben wurden. Vom Kloster aus führt eine uralte Steinstraße rüber zum Sattel, dort beginnt die neu gegossene Betonpiste runter nach Cazorla. Mir graust ein bißchen vor diesem ersten richtig steilen Abstieg und der bangen Frage, ob meine Knie das mitmachen. (Ich darf vorwegnehmen: Sie machen.)

Die Ruine des Castillo de Salvatierra , über Cazorla thronend.
Vorerst kann ich mich erstmal mit einem tollen Blick ins Tal trösten, auf das Ziel meiner heutigen Etappe. Auf die Ruine des Castillos, prominent auf dem Berg oberhalb von Cazorla gelegen. Während ich da so gucke, sehe ich in der Entfernung zwei Menschen auf den Felsen neben dem Turm stehen, instinktiv winke ich - so von Hügel zu Hügel und von Wanderer zu Wanderer. Leider sehen sie mich nicht und machen sich an den Abstieg.

Ich tue es ihnen gleich, es ist hier im Windschatten inzwischen richtig warm geworden und die Sonne hat es jetzt am Nachmittag endgültig geschafft, sich die Oberhand zu verschaffen. Während ich die Betonpiste runterschlendere, mache ich immer wieder bei einer der zahlreichen Quellen am Weg Halt, genieße das eiskalte Wasser, das deutlich besser schmeckt als die Chlorbrühe, die ich heute morgen im Hotel aus dem Wasserhahn gezapft habe. Die Landschaft räkelt sich in der Nachmittagssonne, unter einem Felsen liegt ein alter Mann entspannt im Gras, blinzelt unter seinem Hut hervor und winkt freundlich, als ich an ihm vorbeiziehe.


Nach dem ganzen Tag einsam oben in den Bergen kommt mir Cazorla vor wie ein quirliges Gewusel im Ameisenhaufen. Es gibt noch eine weitere Burg zu bestaunen, das Castillo de la Yedra. Guck ich mir morgen an, Gott sei Dank hatte ich mir sowieso vorgenommen, hier einen Tag Pause zu machen. Das hat selbstverständlich ausschließlich damit zu tun, daß ich total vernünftig bin und nach zwei Wandertagen vorsichtigerweise eine Kniepause einlegen will. Ich beherzige hier also nur den Rat meines Orthopäden. Von selber würde ich natürlich niemals nach nur zwei Tagen Laufen schon wieder eine Pause einlegen. Dann müsste ich mich ja morgen dazu zwingen, mir in diesem schicken Städtchen die Burg, die schönen Plätze, die schmalen Gassen, die Ruine der Iglesia de Santa María und vieles mehr anzuschauen. Und womöglich sogar da durchzuschlendern. Furchtbare Aussichten...


Mein Hotel versteckt sich in einer winzigen Altstadtgasse, ich beziehe eine kleine Studentenmansarde unter dem Dach. Nach einem kleinen Nachmittagsschläfchen (hab ich mir von meinem Dachdecker-Nachbarn abgeguckt, eine sehr gute Angewohnheit) fülle ich meine Getränkevorräte im Coviran um die Ecke auf, lote schonmal vorab das Abendessensangebot aus und warte dann leicht grummelig auf das Einzige, was ich an Spanien auch nach vier Wochen einfach noch nicht so richtig gut finden kann: Abendessen erst ab 21:00 Uhr...

Dienstag, 24. April 2018

Weiter geht's: Der erste Tag im zweiten Teil.

Freitag, 20.04.2018
20. Wandertag
Jódar nach Quesada
5h gebummelt / 20km 
495m hoch / 214m runter

Pünktlich zu Sonnenaufgang wache ich auf, weil mir die gelbe Sau im unwahrscheinlichsten aller Winkel über den Balkon durch die schmale Ritze in den Vorhängen ins Gesicht scheint. Aber ich nehme ihr das nicht übel, sondern freue mich statt dessen auf einen schönen Tag.

Mit einem Hochgefühl springe ich runter zum Frühstück, zwei Treppen auf einmal nehmend. Fix ein Tostada con tomate, dann raus zu DIA, die Proviant-Essentials für die nächsten Tage einkaufen. Die paar hundert Meter zum Supermarkt sind heute ein kleiner Spaziergang. Vor vier Wochen zog sich jeder Meter dank der kaputten Knie schmerzhaft und endlos hin, zumal im strömenden Regen, heute geht alles ganz fein und leicht. Überhaupt scheint sich alles um 180° gedreht zu haben, seit ich hier war: Das Wetter: 20 Grad und Sonne statt 8 Grad und Dauerregen. In den Bergen am Horizont sehe ich nur noch auf den höchsten Gipfeln einzelne Schneereste. Andalusien hat in den letzten vier Wochen mit brachialer Kraft seine Farbe gewechselt, das spätwinterliche Silbergrau ist einem saftigen Mix aus viel Grün und ein bißchen Gelb gewichen. Wie um mir zu beweisen, daß auch meine Knie um 180° besser geworden sind, sprinte ich wieder hoch in mein Zimmer, packe meinen Rucksack für die erste Tour (naja, etwas leichter als vorher – aber nicht so leicht, wie ich es mir vorgenommen hatte), bezahle mein Zimmer und setze mich raus in die Sonne. Es windet und stürmt ein bißchen, aber so mag ich's ja eigentlich. Sonnig, nicht zu warm, windig.

Die ersten Meter...
Mein Taxifahrer Antonio biegt pünktlich zu 11:00 auf den Parkplatz vor dem Hotel ein. Dank den letzte Woche mit Jay geübten Spanisch-Basics bin ich inzwischen immerhin dazu fähig, irgendwo in Spanien auf spanisch anzurufen und z.B. ein Taxi oder ein Zimmer zu bestellen. Und ich konnte Antonio auch klarmachen, daß ich heute auch nochmal eine Fahrt brauche – von meinem Hotel zu einer ganz bestimmten Brücke, ca. 15km entfernt. Aus purer Vernunft habe ich beschlossen, die heutige 36km-Tagesetappe um die Hälfte zu kürzen, da die erste Hälfte sowieso meist auf der asphaltierten Straße verläuft. Relativ reizlos durch Olivenhaine über Olivenhaine. Außerdem halte ich es für außerordentlich umsichtig, mich bzw. meine Knie nicht gleich wieder mit einer 9h-Ochsentour ins Off zu schießen.

Also gondele ich mit Antonio im Taxi entspannt in Richtung Quesada, er ahnt schon so einigermaßen, wo ich aussteigen will: An der Puente de las Cabras. Er erinnert sich lebhaft daran, daß vor einigen Wochen schon ein anderer Wanderer in diese Richtung wollte und dann plötzlich irgendwo im Nichts ausstieg. Ich weiß genau, von wem er spricht...
Hinter der Brücke zweigt endlich der Weg von der endlosen Straße ab und führt durch die Olivenhügel erstmal nach Norden und dann nach Quesada. Ich schultere meinen Rucksack, zeige Antonio zum besseren Verständnis den Wegweiser des GR-7, der hier an der Straße steht, damit er sich keine Sorgen um die ganzen seltsamen Deutschen machen muß, die er ständig im Niemandsland zwischen Jódar und Quesada an irgendwelchen Feldwegen rausläßt.


Die Feldwege sind steinhart ausgetrocknet, als wären Matsch und Schlamm des Winters zu knochenhartem Beton umgewandelt worden. Die oberste Schicht Erde ist zwischen den Traktorenreifen und dem harten Untergrund zu Staub zerrieben worden, der mir mit den Windböen bei jeder Gelegenheit um die Ohren fliegt.
Aber ich bin glücklich. Ich steige beflügelt die ersten Hügel hinauf, spüre die aufsteigende Wärme des Tages und die brennende Sonne im Nacken und kann immer noch nicht fassen, daß der Winter endlich vorbei ist. Ich bin in ein vollkommen anderes Land zurückgekommen.

Wäre ich klüger, wüsste ich vielleicht, was das für Larven sind.
Nur anhand einiger weniger Pfützen kann man noch erkennen, was für eine Schlammschlacht dieser Weg noch vor einigen Wochen gewesen sein muß. In der senfgelben Brühe tummeln sich träge irgendwelche dicken Larven, dazu irgendwelche Flugviecher, die ich erst zu unrecht für Mücken halte.
Die Olivenhaine brutzeln in der prallen Sonne, nur in den wenigen schattigen Ecken oder feuchten Stellen am Fuße der Hügel entkomme ich für einen Moment der sengenden Sonne. Der staubige Weg und die von Hügel zu Hügel wechselnde Farbe des Lehmbodens wirken karg und manchmal fast wüstenhaft.


Aber das ändert sich schlagartig, als ich nach dem nächsten Dorf in das kleine Tal des Rio Toya einbiege. Der Weg schlängelt sich unterhalb der Ruine des Castillo de Toya entlang, manchmal wirken die leeren Fensterbögen so, als würden mich zwei Augen vom Berg herab anschauen. Hinter einer Biegung gibt es den perfekten Platz für eine Mittagsrast: drei große flache Steine im Schatten. Ich breite all meine Lebensmittel aus, ignoriere die Mücken um mich herum und verbringe mindestens eine Stunde mit Picknicken, Lesen, vorbeifahrende Traktoren grüßen und ähnlich wichtigen Dingen. Inzwischen ist es über Mittag richtig warm geworden, in der Sonne schon fast heiß.

Das nächste Dorf Toya liegt dann auch wie ausgestorben in der frühen Nachmittagssonne. Keine Menschenseele zu sehen, also weiter durch die staubigen Olivenhaine. Die nächsten zwei Stunden laufe ich mehr oder weniger in der prallen Sonne, beobachte ein paar Schildkröten, die sich im Wasserreservoir häuslich eingerichtet haben, finde einen halbverwesten Fuchs (oder einen kleinen Hund, wer weiß das schon so genau), der in einem Graben vor sich hinmüffelt, schätze eine matschige Stelle mitten auf dem Weg vollkommen falsch ein und hänge plötzlich bis zum Schienbein im Matsch fest, wische mir gefühlt 3,5l Schweiß von der Stirn und freue mich über den entspannten flachen Weg, fernab irgendwelcher Straßen. Das Grün der Wiesen auf den Hängen wird von gelbem Raps, Kamille und anderem Kraut aufgelockert und in der Sonne leuchtet das alles so dermaßen, daß es eine Freude ist.

Die Berge hinten gehören zur Sierra de Cazorla, offensichtlich das totale Wanderparadies hier in der Gegend...

Quesada liegt - natürlich - auf einem Hügel, unter einem Hügel und neben einem Hügel. Vor dem letzten Anstieg mache ich noch eine kleine Pause im winzigen Schattenbereich eines Olivenbaums, inzwischen ist mir eher zu warm, ich habe etwas zuviel Sonne abbekommen und überhaupt: Hui!  So richtig im Sommer möchte ich hier wohl eher nicht unterwegs sein...

Mein Hotel empfängt mich mit kalten Getränken und einem verdunkelten Zimmer, was ich erstmal zu einem ausgiebigen Nickerchen in der Kühle des Hauses nutze. Am Abend werfe ich mich in die Bar und trinke ein paar Bier, nasche an diversen Tapas und werde dann kurz nach 21:00 innerlich doch leicht quengelig, ob es endlich was zu Essen gibt. Die Tatsache, daß ich ungeduldig als Erster den noch dunklen Speisesaal entere, finde ich zwar zunächst eher peinlich, aber nach mir strömt sofort die halbe Bevölkerung der Bar hinterher ins Restaurant -- offensichtlich war ich nicht der Einzige, der hier dringend auf Abendessen gewartet hat.