Mittwoch, 21. März 2018

Der Horror in Tüten.

Samstag, 18.03.2018
19. Wandertag
Torres nach Jódar
6h / 22km
659m hoch / 988m runter

Schlecht geschlafen. Ich glaube, daß ich erst kurz vor Sonnenaufgang weggeratzt bin. Mein Ärger über dieses doofe, kalte, häßliche, unfreundliche Zimmer ist immer noch nicht verraucht. Also raus, los, ab auf die Straße. Ich packe meinen Kram und vergewissere mich doppelt und dreifach, daß ich nichts vergessen habe. Ausgerechnet hierher möchte ich nicht mehr zurückkehren müssen, weil ich irgendwas liegen gelassen habe.

Die erbauliche Aussicht aus meinem Fenster: Der Spa-Bereich
..
Das magere Frühstück versöhnt mich wieder etwas mit dem Morgen, wenigstens einen Tee und ein Toastada im Magen. Ich ziehe hinaus in den Wind und den kleinen Anstieg zum nächsten Paß hinauf, dem Puerto de Albanchez. Langsam, sehr langsam – meine Knie müssen erstmal warm gelaufen werden. Der erste Regen fängt mich, das Wind faucht und meine Laune ist schon bald nach dem Loslaufen auf dem Tiefpunkt.



Das ändert sich oben auf dem Paß. Der Abstieg führt durch blühende Mandelbäume, vorbei an steilen Felsen und öffnet kurz darauf ein Bilderbuchpanorama. Vor mir liegt im Tal die heutige Tagesetappe ausgebreitet. Links Albanchez, da hinten Bedmar, dann der absurde Berg, hinter dem mein Tagesziel Jódar liegt. Der Abstieg über den steilen Pfad tut richtig weh in den Beinen, ich genieße dennoch die Aussicht, sehe einen Steinbock auf den Felsen über mir (ich habe ihn von hinten erst für einen ausgebüxten Esel gehalten) und freue mich in Albanchez über die für mich bereitstehende Parkbank mit Aussicht. Eine halbe Stunde sitze ich da und schaue hinunter ins Tal, überlege wie das hier alles weitergehen soll und mache mich - als mir endgültig zu kalt wird - wieder auf die Socken.

In den schmalen Gassen im Dorf stolpere ich über eine Panaderia, wahrscheinlich habe ich sie nur deswegen überhaupt gesehen, weil gerade eine Frau mit einer Brottüte rauskam. Die willkommene Wärme der Backstube und das anerkennende Grinsen der Bäckersfrau, als sie meinen Rucksack sieht, fühlen sich sofort an wie ein kuscheliger Platz auf der Kachelofenbank.

Albanchez von unten, auf der Suche nach Mittagspause...
Das Brot in der Hand ziehe ich bergab aus dem Dorf, auf der Suche nach einem schönen Pausenplatz. Auf eine Bar habe ich gerade keine Lust, zu stressig, zu laut. Statt schönem Rastplatz finde ich Regen, ich nutze die Gelegenheit dazu, mich schnell noch umzuziehen. Heute morgen war mir ungewöhnlicherweise so kalt, daß ich mit langer Hose losgelaufen bin. Da ich mir diese einzige lange Hose aber eigentlich immer als trockene/lange Alternative für die Abende aufgehoben habe, wechsele ich lieber wieder zu den Shorts, bevor ich heute Abend dann gar keine trockenen Klamotten mehr habe. Denn die Wolken hinter mir sprechen deutliche Worte.

Also keine Mittagspause. Gefrustet packe ich das Brot weg, hänge mir statt dessen Musik in die Ohren und mache mich wieder auf den Weg. Im Matsch wieder die Spuren des unbekannten Wanderers vor mir. Wieder ganz frisch. 
Trotz Regen folgt eine ziemlich gemütliche Stunde auf einem einsamen Feldweg, ohne Aufstiege, ohne Abstiege, dafür mit Aussicht. Meine Knie bedanken sich für die gemächliche Abwechslung. Beim Wandern zwischen den - seufz - Olivenbäumen muß ich daran denken, daß ich vor Kurzem irgendwo gelesen habe, daß die Sierra de Cazorla die Grenze des Olivenanbaus darstellt. Rechnerechne, das wäre dann also in 2 Tagen. Sehr schön, ich könnte ich mich durchaus damit anfreunden, mal wieder andere Bäume zu sehen.

Die Ermita de Cuadros scheint eine Art touristischer Hotspot zu sein, zumindest dem Schilderwald nach zu urteilen. Erst treffe ich auf eine Familie, die im Suzuki Jimny einen steinigen Feldweg hoch-4x4-t, damit sie nicht zu Fuß gehen müssen. Nach der nächsten Kurve sehe ich sie oben vor dem alten Wachturm herumstehen. Ich stoße auf seltsam angelegte "Erlebnispfade", ausgestattet mit EU-konformen Infotafeln samt Blindenschrift und lasse unbegreiflicherweise den einzigen trockenen Sitzplatz weit und breit links liegen, weil mir zu kalt ist. Mit Blick auf die Karte skippe ich außerdem das nächste Dorf Bedmar, weil der GR-7 eine höchst eigenwillige Schlenkerkurve dorthin macht. Und vor allem spare ich mir diese absurde Bergüberquerung (500m hoch und sofort 500m wieder runter), ich nehme lieber die Straße außenrum. Aber bis ich dort ankomme, hat schon wieder Trommelregen eingesetzt, Sturmböen peitschen den Regen und mich über die Landstraße und mein Frust und meine Verzweiflung entladen sich in laut gebrüllten Flüchen über, gegen und trotz des Wetters.

Ich kann nicht mehr, halte den Daumen raus und trotz aller Widrigkeiten (und vor allem trotz meiner Erwartungen) hält das 5. Auto an und nimmt mich nach Jódar mit. Ich habe ein mächtig schlechtes Gewissen, vor allem weil ich diesen netten Leuten den Rücksitz mit meinen tropfenden Klamotten flute. Sie wollten sowieso nach Jódar, setzen mich direkt vor meinem Hotel ab und ich bin dafür im Moment nur noch dankbar. Ich schleppe mich hoch in mein Zimmer, dusche erstmal, wringe später meine nassen Sachen aus --

-- und nachdem ich eine Stunde im Bett gelegen habe, kann ich irgendwie nicht mehr laufen. Meine Knie streiken; ohne mich irgendwo mit den Händen festzuhalten, schaffe ich nicht mal mehr die 8 Schritte ins Bad. Morgen werde ich ganz bestimmt nicht weiterlaufen, selbst wenn ich wollte, sondern erstmal den ganzen Tag schööön liegenbleiben. So geht es nicht weiter.

Beim Abendessen bin ich echt froh, in einem so netten Hotel gelandet zu sein. Wenn ich mir vorstelle, daß ich in diesem furchtbaren Kasten von letzter Nacht gestrandet wäre... Als ich gerade bei der Vorspeise bin, kommt ein Typ ins Restaurant, der so vom Gefühl her der mysteriöse "Vorauswanderer" sein könnte. Einzelner Gast, Outdoorklamotten, offensichtlich kein Spanier. Ich teste nach dem Essen mal kurz an, indem ich ihn von der Seite quer über zwei Tische mit "Sag mal, bist du zufällig Matthias?" anspreche, aber er reagiert nicht. Vielleicht ging es im Trubel der spanischen Familienfeier nebenan unter. Egal, ich bin auch zu erledigt, um da noch weiter zu insistieren. Heute hab ich echt andere Sorgen. Nach dem Essen ringe ich mir bzw. meinen Knien Schritt für Schritt ab, bis ich wieder im Bett liege. Scheißtag. Morgen bringen mich keine 10 Pferde weiter.

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