Dienstag, 1. Mai 2018

Fetter Tag oben in den Bergen. Grenzwertig anstrengend.

Coto Ríos am frühen Morgen. Alles verrammelt...
Freitag, 27.04.2018
24. Wandertag
Coto Ríos nach Pontones
9,5h / 37km 
1.314m hoch / 645m runter

In der Nacht war wohl endlich der Regen da, den der Wetterbericht schon seit Tagen immer wieder angedroht hatte. Außer ein paar dunklen Wolken am Morgen und einer feuchten Luft, die schon um 08:00 wie zum Anfassen ist, bleibt von Regen aber erstmal nix zu merken.

Früh raus, vor mir liegt ein fetter Tag. Ich habe ihn so auf 9 bis 10h geschätzt, aber bei meiner aktuellen Lust auf Rumsitzen, Pause machen & Lesen glaube ich eher, das es länger dauern wird.

Die erste Stunde geht es am Fluß entlang, leere Campingplätze reihen sich aneinander. Mir kommt die gesammelte Damenbelegschaft des Mini-Supermarktes entgegen, durch den ich mich die letzten beiden Tage verköstigt habe. Offensichtlich wird Familien- oder Betriebs-Frühsport abgearbeitet. Wir wünschen uns schmunzelnd einen guten Morgen, als hätten wir uns gegenseitig beim Griff ins Bonbonglas erwischt und jeder zieht in seine Richtung weiter

Ich biege in das Tal des Rio Aguasmulas ein, dem ich die nächsten Stunden auf einer stetig bergauf führenden Forststraße folgen werde. Unten dröhnt der Wildbach und das Tal wird mit der Zeit immer steiler und tief eingeschnittener.

Idyllenschwerpunkt Forsthaus Los Bonales mit Quelle. Das Wasser schmeckte leider ausgesprochen staubig...
Hier hat schonmal jemand freundlicherweise was zu Knabbern bereitgelegt...

Auf der gegenüberliegenden Hangseite entdecke ich eine verfallene Alm (Cortijo del Mulón). Dorthin führt noch nicht mal mehr eine Straße, sondern nur noch ein Pfad, der sich vom Talgrund aus hoch quält. Das Dach ist schon längst eingestürzt, aber ich glaube in der Ferne noch einzelne Schafe auf der Weide neben dem Cortijo zu sehen. Abgeschiedener geht es wahrscheinlich nicht...

Die Forststraße endet irgendwann in einem kleinen Aussichtspunkt, der die volle Pracht des Tals präsentiert: Hoch aufgetürmte Berge, steil abfallende Felswände, sich an die Hänge klammernde Wälder, oben links ein Wasserfall. Über allem hängen die Wolken und machen die Aussicht endgültig zu etwas, das den Wanderer ganz winzig erscheinen läßt. Panorama nicht nur nach links und rechts, sondern auch nach oben und unten.

Kann man natürlich mit seiner Handykamera nur so halb geil fotografieren:


Ich steige weiter durch ein schmales Seitental auf, lasse mich am erstbesten Bach für eine Stunde vom leichten Wind abkühlen und sorge dafür, daß mein Rucksack leichter wird. Natürlich hatte ich in den letzten beiden Tagen (mit dem Supermarkt nur 30m von der Haustür weg) viel zu viel Kram eingekauft, den ich nie und nimmer aufessen konnte. Die Hälfte davon habe ich heute morgen schon im Apartment zur weiteren Verwendung zurückgelassen, der Rest klunkert gerade noch durch meinen Rucksack. Unter anderem ein paar weichgekochte Eier, die ich mir jetzt – ganz picknickender Tourist – mal vornehme. Die scheinbar gute Idee, einen kleinen Berg Salz als Vorrat in die Plastiktüte mit den Eiern zu kippen, hätte ich mir mal besser geklemmt – vor allem, weil ich später noch so doof war, das restliche Brot in dieselbe Tüte zu packen. Eier in Salzkruste: Halb so schlimm, haben ja ne Schale. Aber Brot in Salzkruste? Bäh.

Der gurgelnde Bach neben mir bringt mich seltsamerweise zu allerlei akustischen Fata Morganen, die darin gipfeln, daß ich mir total sicher bin, daß gleich eine Familie mit mindestens zwei gutgelaunten Kindern um die Ecke kommt. Nichts dergleichen wird passieren, ich sehe für viele Stunden keinen einzigen Menschen.


Statt dessen kommt die Sonne raus und verwandelt den Aufstieg in eine schweißtreibende Angelegenheit. Der staubige Boden riecht nach Sommer und warmen Kiefernnadeln, am Himmel dreht ein Adler seine Runden, und ich wandere immer höher und immer weiter hinauf in eine entrückte Gebirgswelt.


Nach diesem letzten Foto vor dem Sattel tut sich Erstaunliches. Rein optisch hätte ich weitere steinige Weiten, mehr Aufstieg, mehr karge und staubige Hänge erwartet. Statt dessen öffnet sich vor mir ein stilles Hochtal mit Almwiesen, saftig grün und von Ziegen & Schafen raspelkurz gefressen.


Hinter der nächsten Hügel findet sich der Grund für so viel Idylle: Ein kleines verlassenes Bergdorf, bestehend aus vielleicht 4-5 kleinen Höfen, den Cortijos Hoya de La Albardía. Wie lange diese Steinhäuser schon verlassen sind und Jahr für Jahr immer weiter verfallen, weiß ich nicht zu sagen. 75 Jahre? 50 Jahre? 25 Jahre? Könnte alles passen. Die nächste Straße ist auf jeden Fall mehrere Stunden zu Fuß entfernt.

Ich richte mich zur Mittagsrast ein, werfe den Rucksack ab und durchstreife erstmal die Ruinen. Besonders hervorstechend ist der Geruch: In allen Gebäuden finde ich halbverweste Ziegen oder Steinböcke, die eindringlich vor sich hin duften. Ob die Tiere sich freiwillig zum Sterben in diese stillen Ecken zurückzogen haben oder ob irgendwelche ominösen Raubtiere sie hierher geschleppt haben -- keine Ahnung. Vielleicht sind sie auch einfach nur von den Steinen der einstürzenden Mauern erschlagen worden. Die meisten Dächer sind schon lange kollabiert oder hängen auf Halbmast, daher verzichte ich mal auf eine eingehende Besichtigung von Innen. Das am höchsten liegende Haus sieht gleichzeitig noch am "frischesten" aus, hier finde ich neben ein ein paar leeren Flaschen noch ein paar Reste der Möblierung, die in dieser Kulisse aus Verfall und "früher" aber eher melancholisch wirken.

Lieber setze ich mich unter den blühenden Apfelbaum in die Sonne und lasse mir mein Mittag schmecken.


Danach: Weiter bergauf. Ich merke zum ersten Mal richtig, wieviel Kraft mich dieser Tag kostet. Seit 5 oder 6 Stunden bin ich konstant bergauf unterwegs. Mehr als einmal und vielleicht auch einmal zuviel ziehe ich das GPS aus der Tasche, um nochmal drauf zu gucken, wann ich denn wohl endlich oben bin.
Als ich endlich am obersten "Oben" angekommen bin, ist echt die Luft raus. Heute komme ich an meine Grenzen. Inzwischen bin ich seit ca. 8h unterwegs, bin um die 1.200 Höhenmeter aufgestiegen und da liegt noch einiges an Strecke vor mir... Trotzdem gönne ich mir die 20min Umweg zum Aussichtspunkt "Mirador de Don Juan Leon". Und der lohnt sich und stärkt meinen schlaffen Körper mit tollen Bildern.


Ja, ich weiß. Ich fass die Dinger nicht an...
Während ich da so auf dem Mirador rumkraxele, höre ich plötzlich ein Geräusch von hinten: Radfahrer! Vater und Tochter haben eine kleine Tour von Pontones herauf gemacht, wir plaudern kurz und treffen uns auf dem Abstieg/Abfahrt wieder. Ich fotografiere die allgegenwärtigen Prozessionsraupen-Prozessionen, 10 Sekunden später holpert ein weißer Suzuki-Jeep um die Ecke, vollgepackt zum Familienausflug hoch zum Mirador. Ich grüße freundlich, man kann ja nie wissen.

Die nächsten 1,5 bis 2h sind Abstieg. Ich werde langsam maulig, es beginnt zu regnen und mir gehen Lust und Kraft aus. Insgeheim wäge ich schonmal meine Chancen ab, vielleicht von dem weißen Suzuki das letzte Stück bis runter nach Pontones mitgenommen zu werden. Als er dann später wirklich den Holperweg zurück ins Tal runterkommt, hält er ungefragt neben mir an. Auf den Wortschwall aus dem Fahrerfenster hin sage ich erstmal mein Sprüchlein auf, daß ich leider nur ganz wenig Spanisch spreche. Daraufhin verweist der fahrende Vater sofort mit großer Geste und offenbar voller Vertrauen in die Fremdsprachenkenntnisse seines Sohnen an ebendiesen auf dem Beifahrersitz: "Ingles?" Der Sohn ist vollkommen irritiert und leicht empört, wieso sein Vater ihm das so zutraut, aber wir stöpseln uns das Gespräch schon irgendwie hin. Die Familie ist sehr süß und fragt, ob ich klarkomme und mitfahen will (dabei ist das Auto mit dem Damen auf dem Rücksitz rappelvoll, nicht mal mein Rucksack solo oder ich ohne Rucksack hätten noch reingepaßt), ob ich noch genug zu Trinken dabeihätte und so. 


Unten an der Karstquelle des Rio Segura treffe ich das Quartett mit dem weißen Suzuki wieder. Es werden Fotos gemacht, der blaue Quelltopf bestaunt, Fotos von der Quelle im Winter hergezeigt und ein bißchen geplaudert. Ich posiere für ein Foto, ohne in die Quelle zu fallen und staune über diesen Fluß, der mal so einfach aus dem Berg kommt.

Die letzte Stunde Weg zieht und zieht sich. Jedes noch so kleine Stückchen Bergauf ist jetzt echt eine Qual und ich will nur noch ankommen. Ich bin seit 11h unterwegs... Wie immer, wenn ich keine Lust mehr habe, laufe ich das letzte Stück auf der Straße und schalte das Hirn ab. Irgendwann kommt endlich Pontones, ich laufe durch kleine Gassen, gerade breit genug für ein Auto, sacke ich einem kleinen Supermarkt noch ein paar Getränke für morgen ein und finde auf Anhieb mein gebuchtes Apartment. Volltreffer. Schön eingerichtet, großzügig, richtige warme Zudecken, vom Schlafzimmer aus hört man den Bach neben dem Haus rauschen. Nach dem Duschen telefoniere ich meine Unterkunft für morgen an: Verdammt. In Santiago de la Espada ist eine "Carrera", ein Rennen. Das einzige Hotel im Ort ist ausgebucht. Der Rest des Abends vergeht mit der frustrierenden Recherche nach Alternativen. Ich schenke mir ein richtiges Abendessen im Ort, dazu hätte ich heute Abend keinen Nerv mehr. 3 Joghurts, dazu Salami und diverser Kram aus dem Rucksack sind zwar kein Feinschmecker-Abendessen, für mich aber heute Abend mehr als genug. Dazu - wie immer - ein Cruzcampo.

1 Kommentar:

  1. Riesen Leistung, diese unendliche Etappe über heftige Berge. Deine Zwangspause hat auch was gutes: ohne sie wärst du im März elendig im Tiefschnee verreckt: zu weit, um zurückzugehen, zu tiefer Schnee über viele Kilometer, um das Ziel zu erreichen. Und kein Netz für einen Notruf... Ich bin Gott demütig an diesem Tag spürbar näher gekommen.
    P.S.: die Kadaver könnten Opfer des hohen Schnees sein. Es gibt dort oben niemanden, der Futter hochbringen könnte. Die ruine Ruinen bieten Schutz vor den Geiern, die sonst die halbtoten Tiere "beseitigen" würden. Soweit meine steile These

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