Samstag, 5. Mai 2018

Runter ins Tal und in die Hitze des Sommers.

Dienstag, 01.05.2018
28. Wandertag
El Sabinar nach Moratalla
6,5h / 31km 
340m hoch / 907m runter

Doch, in diesem Dorf leben noch Menschen... Beim Frühstück unten in der Bar treffe ich auf ein paar ältere Herren ihren Morgen-Cognac schlürfen. Ist ja schließlich Feiertag. Ich zahle meine 20 EUR für das Zimmer und bin raus, auf zu besseren Ufern.

Die Luft ist schneidend kalt von der vergangenen Nacht, aber die Sonne brennt schon am frühen Vormittag hart vom Himmel. Immerhin sieht die weite Hochebene rund um El Sabinar damit heute deutlich freundlicher und farbiger aus als gestern. Auf den ersten zwei Kilometern überholt mich ein älterer Jogger auf der Straße und verschwindet irgendwann am Horizont, ich biege nach rechts in die Landschaft ab und schlage mich über kleine Wege immer weiter Richtung Osten. Der Tag ist eigentlich ganz einfach: Erstmal quer über diese Hochebene, dann durch ein paar Schluchten und Täler abwärts, raus aus dem Gebirge - und am Ende noch ein bißchen durch Gartenland bis Moratalla.


Der Wind weht mir frisch um die Ohren, die Sonne macht den Vormittag angenehm warm, aber trotzdem bin ich heute irgendwie erschreckend lustlos. Bei der ersten schattigen Gelegenheit sitze ich ein wenig ziellos in der Gegend herum und schaue in die Landschaft, irgendwann hilft auch das nicht mehr und ich packe mir Musik in die Ohren. Stimmung einpeitschende Propagandasongs aus dem Reich von Kim Jong-Un haben bisher noch jeden müden Marschierer auf Trab gebracht.

Endlich verlässt der Weg die schier endlosen Schotter- und Asphaltpisten der letzten Stunden und windet sich langsam einen kleinen Berg hinauf, um danach in ein stilles Tal zu tauchen, das von Kiefernwäldern und felsigen Bergen umgeben wird. Hier im Windschatten riecht es plötzlich nach Sommer und heißem Sand, auf faustgroßen Steinbrocken eiere ich die nächste Stunde talabwärts, durchquere einige Male den Rio Alhárabe, dem ich für den Rest des Tages im Wesentlichen folgen werde. Irgendwer hat in den Furten netterweise schonmal ein paar große Steinbrocken zum Drüberbalancieren platziert, so bleibt mir das Ballett aus "Stiefel-ausziehen-durchwaten-Füße-trockenen-Stiefel-anziehen" erspart.

Furt durch den Rio Alhárabe. Unscheinbar, aber mit 25cm zu tief, um einfach durchzulaufen.
Ich treffe ein paar Mountainbiker, die ich Schatten sitzen und frustriert an einem der Räder etwas rumfrickeln, ein paar Jungs in einem alten Peugeot 205 sind auf der Suche nach irgendwelchen Thermalquellen hier im Tal, aber leider kann ich ihnen bei der Suche nicht behilflich sein. Der Weg führt sanft abwärts in Richtung Moratalla, er wird begleitet durch ein Band aus steilen Felswänden, die quasi senkrecht aus dem Wald emporragen, mit beeindruckenden Überhängen, tiefen Höhlen und allerlei mehr zum Gucken. Die Luft ist schwülwarm geworden, man merkt den die geringe Höhe von nur noch 600m über Meeresspiegel im Vergleich zu den 1.200 bis 1.600m Höhe, in denen ich mich die letzten Tage aufgehalten habe.


Weiter im Süden haben sich inzwischen dunkle Wolken über den Bergen zusammengezogen, ein oder zwei Täler weiter scheint es zu gewittern. Ich komme Kilometer um Kilometer dem touristischen Trubel immer näher, der vom Campingplatz "La Puerta" auszugehen scheint, immer öfter überholen mich einzelne Autos auf dem Schotterweg, auf dem Weg ins Tal und nach Hause und zurück an die Arbeit nach dem Feiertag. Als ich oberhalb des Campingplatzes vorbeilaufe, stimmt dieses Bild immer noch: Alles baut ab, alles packt zusammen, alles in Aufbruch, nach Hause. Auf der Straße nach Moratalla kommt mir kaum ein Auto entgegen, alle überholen mich auf dem Weg zurück in die Zivilisation.

Ich selber habe es dabei gar nicht so eilig, denn über Moratalla scheinen gerade die Gewitterwolken zu hängen. Die letzten Kilometer geht es wieder durch weitläufiges Gartenland, Mandelplantagen, Ferienhäuser. Ich höre den entfernten Donner und beschleunige meinen Schritt -- warum, weiß ich auch nicht. Das Gewitter wird das nicht weiter interessieren.


Als ich endlich um den letzten Berg herum bin, sehe ich, daß das Gewitter gerade hinter Moratalla vorbei gezogen ist und kann mich entspannen. Also habe ich Zeit, mich über die seltsame Übernachtungssituation in dieser für diese Region nicht ganz kleinen Stadt zu wundern. Offensichtlich gibt es rings um Moratalla herum tonnenweise Casas Rurales (also traditionelle Ferienhäuser), aber nicht wirklich im Ort selber. Keine optimale Übernachtungsmöglichkeit für jemanden, der nur mal schnell für eine Nacht bleiben will und womöglich noch auf Infrastruktur wie ein Restaurant oder einen kleinen Supermarkt angewiesen ist.  Die Webseite der Gemeindeverwaltung listet Hotels auf, die es schon seit Jahren nicht mehr gibt, aber ich bin beim Durchtelefonieren auf eine Pension gestoßen, die mir ein Zimmer für heute Abend vermieten will.

Moratalla von unten. In diesem Licht ganz klar die häßliche Seite.
Das Finden dieser Pension Levante war etwas komplizierter als gedacht, unter der angegeben Adresse wartete nur ein ganz normales Wohnhaus, die alte Dame, die ich dann rausklingelte und nach der Pension fragte, wußte mir zwar grob den Weg zu beschreiben, aber mein Spanisch war nicht gut genug, um sie richtig zu verstehen. Im Endeffekt bin ich einfach weiter die angezeigte Straße entlang gelaufen und stieß ein paar Minuten später vor einem geschlossenen "Restaurante Levante", dann hob der müde Wanderer seinen Blick, sah im ersten Stock ein blasses Schild und bingo. Eine sehr putzige Großmutter mit Kittelschürze weist mir ein einfaches, aber geräumiges Zimmer zu. Ich werfe die kochenden Stiefel auf den Balkon und mich unter die Dusche. Währenddessen wirft das gerade abgezogene Gewitter doch nochmal einen satten Regenschauer über die Stadt. Ich bin glücklich.

Moratalla in bester Feiertagsbräsigkeit.

Später mache ich mich nochmal auf den Weg hoch in den Ort, mein Rucksack ist bis auf eine halbe Flasche Leitungswasser komplett leergeputzt und ich habe nichts mehr zu Futtern, um mich für den geschafften Tag zu belohnen. Moratalla macht einen sehr geschlossenen Eindruck, viel Leerstand, viel tote Hose, aber was will man von einem Feiertags-Nachmittag auch sonst erwarten. Absolut nichts hat geöffnet, nicht die Kirche, nicht die Festung, ich laufe durch eine bewußtlose Stadt .Ist zwar alles da: Marktplatz, kleines Krankenhaus, mittelalterliche Festung, irgendein Museum -- aber irgendwie wirkt Moratalla noch ein kleines bißchen dösiger und unwilliger als die vielen anderen Orte in Spanien, die auf den ersten Blick alle immer ein wenig geschlossen aussehen. Ich versuche, es Moratalla nicht über zu nehmen, daß heute sogar die meisten Restaurants und Bars geschlossen haben und finde am Ende den offensichtlich einzigen geöffneten Laden weit und breit, den Kiosk "Meine süße Paola". Zwei Dosen Cola, eine Literflasche Bier und eine Packung Chips müssen für den Abend reichen, mehr Auswahl gibt es auch nicht, aber ich beschwere mich nicht. Ich verzichte dankend darauf, später erneut verzweifelt durch den Ort zu streifen, um mir ein Abendessen zu suchen, höre statt dessen in meinem Pensionszimmer noch ein wenig dem Fernseher des Nachbarzimmers zu und versinke irgendwann im Kissen.

Paola, meine überteuerte Rettung für den Abend.

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