Montag, 30.04.2018
27. Wandertag
Pedro Andrés nach El Sabinar
7h / 33km
7h / 33km
637m hoch / 629m runter
Beim Kartenstudium gestern Abend ist mir aufgefallen, daß die heutige Etappe doch ein ganzen Stück länger ist, als ich eigentlich Bock hätte. Tough luck, aber wer gestern schon nach 25km in Pedro Andrés Feierabend macht, statt die 9km weiter bis nach Nerpio noch zu laufen, der hat genau diese 9km zusätzlich eben heute auf dem Tablett. In Anbetracht der langen Etappe streiche ich im Geiste einige Umwege durch die Berge, die ich mir ausgedacht hatte und bleibe für die ersten Stunden bei der guten alten Straße, da kann nix schiefgehen.
Ich bin nach der letzten Nacht leicht gerädert. Immer wieder wird mir klar, wie schlecht ich auf diesen schmalen Einzelbett-Pritschen schlafe - vielleicht weil mein wirrer Kopf im Schlaf ständig unterschwellig Angst hat, aus dem Bett zu fallen. Zum Frühstück erwische ich mich dabei, wie ich mir Zucker in den schwarzen Tee kippe -- seit wann mache ich denn sowas? An die Tostada con tomate zum Frühstück könnte ich mich auf jeden Fall dauerhaft gewöhnen, aus dem anfangs eher mißmutig in Kauf genommenen spanischen Frühstücksstandard ist inzwischen ein täglicher Leckerbissen geworden, auf den ich mich fast jeden Morgen freue. Krosses Brot, fruchtiges Olivenöl, sanftes Tomatenpüree und - Salz. Ein Frühstücksbuffet nach deutscher oder gar polnischer Art vermisse ich im Moment gar nicht.
Auf dem Felsen in der Mitte: das Castillo. |
Hier oben in den Bergen ist die Luft am Morgen klar und kühl. Am Ende des Dorfes ziehe ich unter dem Castillo de Taibona vorbei, den Aufstieg zur Besichtigung spare ich mir heute. Zuviel Strecke auf dem Zettel. Die Ruinen des Turmes überblicken majestätisch und über Kilometer hinweg die schmalen Straßen in alle Richtungen - auch die Straße runter nach Nerpio, die durch enge Schluchten mit hohen Felswänden führt.
Wilde Felsformationen kurz vor Nerpio. |
Auf der Straße herrscht kaum Verkehr, mir kommt ein älteres Ehepaar reiseradelnd entgegen und grüßt verschämt. Ich sortiere sie boshafterweise sofort in die deutsche Schublade. Und muß gleichzeitig darüber schmunzeln, weil sie mich an mich selbst erinnern, während der ersten Tage in Spanien. Immer vorsichtig, am liebsten gar nicht vorhanden, nicht zu laut grüßend, damit niemand mitbekommt, daß man gar nicht richtig Spanisch spricht und am Ende sogar Tourist ist. Dabei steht es mir das doch schon längst in blinkenden Lettern quer über die Stirn geschrieben...
Kurz vor Nerpio knickt ein Weg durch die Gärten und Felder ab. Offensichtlich ist die Berliner Angewohnheit, sich zur Enge der eigenen Wohnung noch einen flächenmäßigen Ausgleich in Form eines (Schreber-)Gartens zu nehmen, nicht auf Berlin beschränkt. Fast alle Dörfer hier haben sich ihre alten/uralten/mittelalterliche Formen bewahrt, mit engen Gassen, aneinandergedrängten Häusern und einer unglaublich kompakten Bauweise. Und so legt sich um fast jeden Ort ein Gürtel aus Gärten, kleinen Feldern, Viehställen und anderen hand-landwirtschaftlich genutzten Flächen, was mir beim Laufen immer zuverlässig anzeigt, daß das nächste Dorf nicht mehr weit sein kann.
Nerpio serviert mir einen festlich geschmückten Marktplatz (warum, weiß der Geier), die ersten schlendernden Touristen seit Langem, einen winzigen Supermarkt, der aber alles vorrätig hat, was ich für einen erfolgreichen Resttag noch brauchen werde: Getränke, frisches Brot, Chorizo, diverse Churros und Nougat-Teilchen und ein paar Oliven. Also lasse ich Nerpio hinter mir, auf der Suche nach einem schönen Platz für eine ausgiebige Rast an diesem inzwischen ziemlich warmen Mittag. Fündig werde ich einem kühlen und schattigen Waldstück gleich hinter dem Müllumschlagplatz von Nerpio. Klingt erstmal doof, ist aber vollkommen entspannt. Den Müllplatz hat laut Schild die EU komplett bezahlt, er sieht aus, als wäre er noch nie benutzt worden.
Das Gelände wird langsam karger und kieferiger, ich steige über einsame Asphaltpisten gemächlich durch zwei Täler und um ein paar Berge herum, betrachte in der Ferne die schroffen Bergketten, dazwischen als hellgrüne Punkte immer wieder Felder mit Mandelbäumen, die grünbepelzte Früchte tragen.
Der Klassiker: ein halb in eine Höhle eingebauter Schafstall (links). |
Ich schlängele mich eine gute weitere Stunde durch immer enger werdende Täler, treffe dabei wieder auf den GR-7, den ich vorgestern verlassen habe, bevor sich die Szenerie plötzlich unvermittelt öffnet und ich wieder auf der Landstraße stehe. Der Weg führt mich den nächsten Berg hinauf und oben auf dem Sattel lasse ich die Welt aus Felswänden und Schluchten hinter mir und stehe plötzlich - naja - in der Provence. Zumindest klischeehafterweise.
Auf den sanft gewellten Feldern der Hochfläche wird Lavendel angebaut, das Schroffe ist mit einem Male aus der Landschaft gewichen.
Langsam habe ich genug für heute, aber immer noch mehr als 1h Weg vor mir. Ich kämpfe mich durch ein kleines Dorf aus häßlichen Neubauten, das alle Fenster fest verrammelt hat und nicht angesprochen werden will, auf dem kleinen Dorfplatz spielen zwei Jungs müde Fußball, jemand hat die Sitzbank in der einzigen Bushaltestelle mit einem Kissen etwas wohnlicher gemacht. Hier willste echt nicht tot überm Zaun hängen.
Über den nächsten Hügel kommt mir in einer großen Staubwolke eine Herde Schafe mit Schäfer und Hunden entgegen. Ich lehne mich für ein paar Minuten an einen Baum und sehe dem Schauspiel der hin- und herwetzenden Hunde zu, die genau wissen, was zu tun ist. Ein beruhigendes Bild von Ordnung im Chaos. Der Schäfer grüßt gutgelaunt und freut sich über den Wanderer mit dem großen Rucksack; die schon den ganzen Nachmittag drohenden Wolken haben endlich genug und es beginnt zu regnen.
Die letzte Stunde marschiere ich mit leerem Kopf auf einer leeren Straße, schön ist anders - aber so ist es nun mal. Als ich in El Sabinar ankomme, wirkt das Dorf über alle Maßen trostlos, neben der Autowerkstatt reihen sich die abgewrackten Schrottkisten auf, ich sehe keinen Menschen auf der Straße, die Häuser wirken abweisend und verlassen. Wohnt hier überhaupt jemand? Aber irgendwo hier muß meine Pension sein, ich finde sie neben einem Restaurant, von dem ich von außen niemals gedacht hätte, daß es noch in Betrieb ist. Ich trinke an der Bar kurz zwei Bier, bis die Wirtin mit ihrer Familie fertig gegessen hat und folge ihr dann in ein Zimmer, das noch kleiner ist als mein Zimmer von letzter Nacht. An der Wand neben dem Bett hängt ein einzelner Kleiderbügel, darunter steht ein kleiner Hocker. Fertig ist die Einrichtung. Aber egal, die Heizung heizt, das Wasser in der Dusche ist auch warm und wenn ich Vorhänge zuziehe, muß ich auch El Sabinar nicht mehr sehen.
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