Bei der Planung des heutigen Tages bin
ich auf volles Risiko gegangen. Warum? Weil der eigentliche GR-7
heute fast den ganzen Tag und über 30km auf der Straße bis nach
Puebla de Don Fadrique im Süden führt (wo ich nie hinwollte), um
dann morgen nach einer Tagesetappe Richtung Osten in Canada de la
Cruz zu enden, wo man nicht übernachten kann (was wenig Sinn macht)
und dann am Ende übermorgen wieder stramm nordwärts in Richtung Nerpio/El
Sabinar zu führen. Mit einem Satz gesagt: Das sieht auf der Karte
auf den ersten Blick nach einem richtig doofen Umweg aus und ist
wahrscheinlich einzig und alleine der Tatsache geschuldet, daß der
andalusische Wanderverein nun mal beschlossen hat, daß der GR-7 in
Andalusien bitte in Puebla de Don Fadrique enden soll und nicht irgendwo im
Nirgendwo. Was dann die Kollegen der Region Murcia in puncto weiterer Wegführung daraus machen, ist
ja ihre Sache.
Jedenfalls hatte sich bei der Planung
angesichts dieser abenteuerlichen Streckenführung sofort mein Sinn für
Optimierung gemeldet und laut gerufen: Warte mal, das geht doch auch
anders. Vielleicht sogar besser. Und so kam die heutige
selbstgebastelte Etappe zustande, die den vorgegebenen GR-7 offensiv ignoriert und durch ein anderes Tal weiter nördlich
einen deutlich direkteren Weg nimmt. Und dabei am Ende sogar einen
ganzen Tag schneller ist. Einziger Haken: Damit diese Planung
funktioniert (auf der immerhin 3 Tagesetappen aufbauen), muß ich
heute diesen-einen-Berg-da-vorne besteigen. Querfeldein. Nen
richtigen Weg hoch gibt’s nicht, die einzige Straße da hin macht
einen Umweg über 20km. Und hinter dem Berg komme ich in das andere
Tal und weiter Richtung Nerpio/El Sabinar.
Was habe ich diesen Berg auf der Karte
betrachtet und seine Höhenlinien studiert. Wie oft habe ich ihn bei
Google Maps hin- und hergedreht und mich gefragt: Kommt man da hoch?
Komme ich da rüber? Ist der Hang nicht zu steil? Heute werde ich es erfahren. Wenn nicht, kann
ich mich an die Straße stellen und mein Glück mit Trampen
versuchen. Dann schnurrt allerdings die Planung der nächsten Tage
mal eben galant in sich zusammen.
Also früh raus, in einen eiskalten
Morgen. Über Nacht hat es in den Bergen wieder geschneit, ich sehe
die frisch geweißten Spitzen der Berge, die gestern noch ganz
unschuldig in der Sonne lagen. Der Wind pfeift von hinten und zum
ersten Mal seit Langem habe ich mir meine einzige lange Hose
angezogen, weil selbst mir heute die Shorts zu kalt sind.
Über einen verschlungenen Camino
oberhalb der Straße laufe ich Richtung Osten, das bißchen Regen von
letzter Nacht hat ausgereicht, um die oberste Schicht Schlamm auf den
Wegen wieder schön matschig werden zu lassen. Ungewohnt... Wolken und
Sonne wechseln sich ab in einem Takt, der vom Wind vorgegeben wird.
Das isser, der Berg. Nach dem malerischen Schotterweg in der linken Bildhälfte fällt das Gelände steil ab in die Schlucht des Rio Zumeta, um auf der anderen Seite wieder steil und felsig aufzusteigen (das hab ich nazürlich blöderweise nicht auf dem Bild...). Unter den steilen Felswänden stoße ich auf Cortijada de Las Cuevas, eine kleine Siedlung aus Häusern, die direkt an und in den Berg hineingebaut wurden. Größtenteils verlassen und verfallen, ohne Straßenanbindung - allerdings gibt es noch ein einziges Haus, das durch seinen rauchenden Schornstein und die frisch gekalkten Wände anzeigt, daß hier doch noch jemand wohnt.
Während ich so durch die Ruinen
streife, treffe ich plötzlich auf einen freundlichen Typen in meinem Alter, der
sich als der einzige Bewohner des Dorfes entpuppt. Wir unterhalten
uns ein Stück auf Englisch, ich erfahre, daß er schon seit 20
Jahren hier wohnt und sich ganz bewußt für dieses zurückgezogene Leben
entschieden hat.
Ich mache mich (neugierig beäugt von
einem seiner Hunde) daran, den Rio Zumeta zu überqueren. Das Wasser
ist eiskalt und geht mir weit bis über die Knie. Ich habe mir mal
wieder die blödeste Stelle zum Furten rausgesucht und nicht bedacht,
daß ich am anderen Ende ja nicht nur irgendwie aus dem Fluß
rauskommen muß, sondern darüber hinaus auch noch den Hang hochwill. Also lande ich erstmal in einer
Dornendickicht-Sackgasse. Anfängerfehler. Ich verfluche meine mangelnde Weitsicht, gehe wieder ins Wasser und ein paar Meter flußabwärts und bin drüben/raus. Mit dieser Flußüberquerung habe
ich nebenbei auch mal schnell Andalusien verlassen, nach 4 Wochen
Weg, die andere Seite gehört schon zu Kastilien-La Mancha.
Auf, den Hang hoch. Ich finde einen
kleinen Ziegenpfad, der mich das erste Stück aus dem steilen Tal
herausführt. Nach einer halben Stunde Aufstieg bin ich aus dem
Gröbsten raus, das Gelände wird etwas flacher und ich schaue zurück
auf das Höhlendorf. Vor seinem Haus steht der letzte Bewohner und
winkt mir zu, ich winke zurück und mir entgleitet dabei ein Schrei
des Stolzes und der Erleichterung – ein schöner Moment. Das
Gröbste ist geschafft.
Die nächsten zwei Stunden verbringe
ich damit, mir mal auf Ziegenpfaden, mal querfeldein, einen Weg über
diese Anhöhe zu suchen. Das funktioniert eigentlich recht gut, wenn
man einfach seinem Bauchgefühl folgt. Das GPS leistet mir dabei gute
Dienste, ich kann mich immer wieder rückversichern, daß ich noch
auf dem richtigen Kurs bin. Keine Ahnung, ob ich mir diese Aktion
zugetraut hätte, wenn ich nur mit Wanderkarte unterwegs gewesen
wäre. Vielleicht nicht, auch trotz meiner 30 Jahre Erfahrung.
Mit dem Aufstieg weitet sich auch die
Aussicht auf das Tal, links erkenne ich La Matea, gegenüber Santiago
de la Espada, dazwischen Felder und vom Wind gepeitschte Wolken. Das
Gelände um mich herum wird steiniger, alpiner und auf 1.500 Metern –
kurz vor der Kuppe – peitscht mich wieder der Wind und hat Schnee
mitgebracht.
20 Minuten später treffe ich auf die
Straße (oder auf das, was von ihr übrig ist), feiere innerlich, daß
ich die komplizierten letzten Stunden Weg gemeistert habe. Ab jetzt
geht’s für den Rest des Tages nur noch auf breiten Wegen dieses
Tal hier entlang.
Landschaftlich ist das hier zunächst
erstmal ein Trauerspiel. Fader Himmel, triste Bauernhöfe, die nach
Verzweiflung und Verfall riechen. Aber das hatte ich schon geahnt,
als ich mir dieses Tal vorab bei der Recherche im Netz angesehen
hatte. Dazu servieren die Wolken Graupelschauer, ich ziehe meine
Jacke an, klappe die Kapuze hoch und ergebe mich meinem Schicksal.
Zwei Stunden später allerdings dreht
sich das Bild unerwarteterweise. Die Sonne kommt raus, die Landschaft
wird bergiger, felsiger, aussichtiger, spektakulärer. Ich steige
gemächlich auf einer komplett leeren Landstraße das Tal hinab.
Ständig muß ich irgendwelche Fotos mit dem goldgelb blühendem
Ginster am Straßenrand machen, die Berge und Täler erinnern mich
ein bißchen an Westernkulissen und in meinem Gesicht manifestiert
sich langsam ein zufriedenes Lächeln.
Die Flaniermeile von Pedro Andrés. |
Ich runde den Abend mit ein paar
zusätzlichen Belohnungsbieren ab und entere mein Bett mit dem
stolzen Gefühl, heute für mich selber gesorgt zu haben.
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