Samstag, 28. April 2018

Yes, Baby! Aussicht!

Cazorla, mit den ersten 2 Burg(ruinen) des Tages
Dienstag, 24.04.2018
22. Wandertag
Cazorla nach Arroyo Frio
6h / 26km 
1.064m hoch / 1.081m runter

So richtig 100% bin ich noch nicht wieder auf dem Dampfer, aber ich kann einfach noch länger in Cazorla rumsitzen.. Daher ignoriere ich die Resterkältung einfach offensiv, packe meinen Rucksack und trete nach einem großen Pott Kräutertee zum Frühstück hinaus auf die Straße.
Es fühlt sich nicht so ganz richtig an, meinen noch nicht gesunden Körper heute weiterzutreiben, aber das Fleisch ist schwach, der Geist hingegen sehr willig. Daß ich damit auch ein gewisses Risiko eingehe, indem ich z.B. irgendwann heute Mittag am Berg kapituliere, weil mein Kreislauf nicht mehr mitmacht oder mein Kopf explodiert, nehme ich Kauf. Eigentlich sollte ich es besser wissen, schon zu oft habe ich beim Wandern solche "Ich-will-jetzt-aber!"-Entscheidungen getroffen, die ich am Ende bitter bereut habe. Aber vielleicht ist heute auch einfach der Tag, an dem man probiert, ob's vielleicht klappt.

Der Morgen ist kühl und sonnig. Der Aufstieg zur "Ermita de la Virgen de la Cabeza" ist steil, verläuft aber gnädigerweise im Schatten, den die Berge am Vormittag auf Cazorla werfen. Aussicht wird sofort serviert, ein letztes Mal kann ich über die endlosen Olivenplantagen hinweg ganz hinten am Horizont die Sierra Mágina erahnen, daneben Jódar mit dem als hellen Fleck erkennbaren Steinbruch.


Oben an der Kapelle schaue/höre ich ein bißchen den beiden Männern zu, die eben extra mit dem Auto aus Cazorla hier hochgefahren sind, um die Glocken zu läuten. In der Kirche haben sich offensichtlich inzwischen auch die neuzeitlichen Brandschutzvorschriften durchgesetzt: Statt Kerzen zum Anzünden wie früher gibt es (siehe rechts unten im Bild) ein kleines Pult mit LED-beleuchteten Kerzenimitationen hinter Plexiglas, die man für 20 Cent zum Leuchten bringen kann. Ich kichere spöttisch in mich hinein - und ärgere mich 10min später dann doch darüber, daß ich mir das habe entgehen lassen.

Die nächsten 2h verbringe ich mit Aufstieg, Aussicht auf La Iruela und das dazugehörige Castillo (noch mehr Burgen...), strahlendem Sonnenschein, frischem Wind, schmalen steinigen Pfaden, noch mehr Aussicht und einem guten Gefühl im Magen, daß sich der Tag bisher echt gelohnt hat.


Von einer halbverfallenen Hochalm, in der wahrscheinlich noch ein paar Ziegen wohnen, führt eine alte Steinstraße über einen majestätischen Felssporn ein paar hundert Meter hinab in Richtung Dorf. Ich erspähe zwei Wanderer, die irgendwo da vorne in dieselbe Richtung wie ich unterwegs sind. Das Gelände wird rauer, steiniger, weniger waldig - dafür nimmt der Wind immer mehr zu.
Ein altes Refugio im Betonbunker-Look sieht im ersten Augenblick aus wie eine gute Idee zur Mittagsrast, aber durch die fehlenden Fenster pfeift der gebündelte Wind wie Hechtsuppe und kühlt mich viel mehr aus, als wenn ich mir ein schattiges, aber windgeschütztes Plätzchen gesucht hätte.


Während ich im Wind sitze und dafür sorge, daß ich demnächst weniger Lebensmittel auf dem Rücken schleppen muß, vermesse ich im Geiste den verbleibenden Anstieg bis hoch auf den Sattel - danach geht's für heute eigentlich nur noch runter. Ich merke, daß der bisherige Aufstieg zusammen mit der Rest-Erkältung doch schon gehörig an meinen Kraftreserven genagt hat, aber was soll's. Ich war ja schon immer nicht so stark am Berg...

Suchbild: Wo sind die Wanderer?
Bei dem Versuch, den alten Camino zu fotografieren, auf dem ich mich schon den ganzen Vormittag nach oben schraube, knipse ich aus Versehen die beiden Wanderer von vorhin (ich hatte sie erst NACH dem Foto überhaupt bemerkt), grüße freundlich und kämpfe mich die letzten Meter bis hoch zum Grat. Oben erwartet mich noch mehr Wind, der letzte Blick zurück nach Südwesten auf die Olivenplantagen, die Sierra Mágina und alle die Kilometer der letzten Tage/Wochen. Und in der Gegenrichtung vor allem endlich die freie Sicht hinein in die Täler und Gipfel der Sierra de Cazorla.


Der Abstieg auf dem alten gemauerten Camino ist sanft und stetig. Inzwischen grillt mich die Sonne ziemlich durch und ich freue mich über jedes bißchen Schatten auf dem Weg. Es ist ein entspanntes Bergabschlendern, bis auf den kleinen Abschnitt, den ein Bergrutsch in eine Schotterhalde verwandelt hat, über die es sich mit vollem Gepäck deutlich wackeliger balanciert, als es mir lieb ist. Bei dieser Gelegenheit zahlt sich 100.000-fach aus, daß ich mein GPS-Gerät noch mit einem Gurt am Rucksack gesichert habe -- beim Kraxeln über die Steine schaffe ich es irgendwie, daß mir das Ding aus der Hosentasche rutscht. Wenn das GPS ausgerechnet HIER den Abhang runtergefallen wäre, wäre ich schön blöd dagestanden.

Auf den Schreck hin gönne ich mir unten an der Straße erstmal eine ausgiebige Rast. An der Fuente del Oso gibt es nicht nur leckeres Quellwasser, sondern auch noch aus großen Steinen aufgebaute Picknicktische. Sowas kann ich nicht links liegen lassen und verbringe locker mehr als eine Stunde mit Lesen, Essen, Ameisen beobachten und ähnlich aufregenden Dingen.

Eine halbe Stunde weiter unten am Fluß wartet dann schon wieder der Tourismus: Der Guadalquivir ist ein herrlich grünblauer Gebirgsfluß, an dem sich ein riesiger Campingplatz angesiedelt hat. Ich stoße auf Reisebusse, Kindergeschrei, Hochseilgärten, Müllcontainer und allerlei anderen Trubel, der so gar nicht zur bisherigen Stille und Erhabenheit des Tages passt. Also ziehe ich schnell auf der Asphaltstraße weiter...

An der nächsten Kreuzung verlasse ich den GR-7 mutwillig und wende mich statt dessen der Cerrada del Utrero zu. Sah auf der Karte aus wie ein netter kleiner Pfad rund um einen kleinen Berg, mit ein bißchen Aussicht auf den Guadalquivir und vielleicht noch auf einen Wasserfall. Hatte ich eigentlich nur als Schmankerl vorgesehen, weil irgendwie auch ein Umweg, könnte man eigentlich auch abkürzen -- aber: Boy, was I wrong!

Ein schmaler Pfad kraxelt durch die Steingärten am Ufer des Guadalquivir entlang, taucht immer weiter in die immer schmaler und tiefer werdende Schlucht ein. Ein Stauwehr bildet den Auftakt für ein vollkommen unerwartetes Szenario: Riesige Felsmassive säumen eine tiefe Schlucht auf Kalkgestein ein, senkrechte Felswände über mir bis zum Himmel, tosende Wasserfälle, alles wie in einem Amphitheater angeordnet. Eine wirklich schwer beeindruckende halbe Stunde Weg, die ich um Himmels Willen niemals hätte auslassen dürfen.


Auch sonst habe ich den Rest des Tages nur noch Glück -- eigentlich hatte ich mich auf einen mühevoll steilen Abstieg querfeldein den Hang runter zur Straße eingestellt, denn auf der Karte war von hier oben kein Weg runter eingezeichnet. Nur die Straße, mit 4km Umweg... Aber es gibt einen deutlich sichtbaren Pfad von einem der Aussichtspunkte nach unten ins Tal. Die letzten Kilometer laufe ich entspannt an der Straße entlang im Schatten der Bäume. In Arroyo Frio empfängt mich als allererstes ein kleiner Supermarkt, in dem ich mich schonmal mit Getränken für morgen versorge. Vollkommen zufrieden und glücklich über diesen tollen Tag betrete ich mein Hotel und freue mich auf ein kühles Zimmer und eine Dusche.

Das - heute - war ein Bilderbuch-Wandertag, der in meiner losen und nicht dokumentierten Top 10 auf jeden Fall für lange Zeit einen Platz behalten wird.

1 Kommentar:

  1. Hi Kilian,well done! Auch bei mir liegt dieser Track in den Top10. Trotz Schneesturm auf dem Sattel, dafür ohne Reisebusse und Lärm und mit einem wunderbaren Wellnesshotel zur Belohnung im Valle de Cazorla

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