Mittwoch, 25. April 2018

Hoch hinaus / hoch zufrieden.

Quesada. Schicker als erwartet...
Samstag, 21.04.2018
21. Wandertag
Quesada nach Cazorla
5h / 20km 
851m hoch / 689m runter

Der mißmutige Wirt unten in der Bar versorgt mich zum Frühstück mit einem Tee und einem Tostada. Ich wundere mich noch, daß seine Laune so gar nicht zu den restlichen freundlichen Leuten hier passt, aber vielleicht ist es auch für ihn einfach nur Samstagmorgen.

Draußen ist es bedeckt, vielleicht 15 Grad. Obwohl es mich etwas fröstelt, weigere ich mich standhaft, mir meine Jacke überzuziehen und durchkämme statt dessen die Straßen rund um den zentralen Platz von Quesada nach einer Panadería. In einer unscheinbaren Kurve werde ich fündig, es gibt sehr knackiges Brot und mit Fleisch gefüllte Empanadas. Die erste davon verdrücke ich, noch bevor ich den Ort verlassen habe. Und freue mich schon jetzt auf eine ausgiebige Mittagspause, irgendwo oben in den Bergen. Bitte mit Aussicht.

Aber das muß ich mir erstmal verdienen. Der Preis: Natürlich bergauf. Die nächsten 1,5h zuckele ich auf Betonpisten bergan, durch das Dickicht aus Gemüsegärten und Wochenendhäuschen, das Quesada umgibt. Irgendwo rechts schreit ein Pfau in seinem Gehege, links übt jemand in Seelenruhe Trompete. Ich setze mich ein paar Minuten in die Sonne, die gerade rausgekommen ist, und höre zu. Überall rödelt und lärmt es, als hätte das ganze Dorf kollektiv seine Häuser verlassen, um das Wochenende hier draußen in den Gärten zu verbringen. Ich reiße mich zusammen und mache mich wieder an den Aufstieg.

Links Quesada. Hinten mittig im Dunst liegen die Sierra Mágina und Jódar, wo ich gestern gestartet bin.
Der Weg schwenkt irgendwann nach links und führt entspannt und ohne weiteren Aufstieg am Hang entlang. Reflexartig packe ich die Hände in die Hosentaschen und genieße die Aussicht, den Wind und vor allem das Gefühl, daß der Winter endlich vorbei ist. Ich komme an einem einsamen Cortijo vorbei, aus irgendeinem Raum im Haus dringt laut spanische Popmusik, als würde sich gerade jemand auf das Wochenende einstimmen. 

Ich mache mich statt dessen auf das nächste Stück Anstieg hoch zum Paß. Mit Blick auf die Karte und auf die Hänge vor mir, überlege ich noch, ob ich vielleicht hier und da ein bißchen querfeldein kraxeln sollte, um die elendig weiten Serpentinen der Straße abzukürzen, aber am Ende siegt die Vernunft Faulheit und ich ziehe einfach gemählich die Betonpiste entlang.

Oben auf dem Paß packt mich der Wind, der von hinten aus dem Tal heraufbraust. Ich werfe den Rucksack auf die Wiese, ziehe erstmal Stiefel und Socken aus und gönne mir ein frisches Hemd, weil mir in den durchgeschwitzten Klamotten im Wind sofort empfindlich kalt wird. Dann öffne ich - mit all der in den letzten Stunden aufgebauten Vorfreude - den roten Proviantbeutel und genieße eine reichhaltige Mittagsrast. Frisches Brot, Schinken, Käse, Silberzwiebeln (mein in Spanien neu entdeckter Star jeder Wanderjause), dazu eine Fanta Limón. Eine halbe Stunde lesen ist auch noch drin, dann will ich wieder weiter - vor allem, weil der Weg jetzt endlich die Straßen und Betonpisten hinter sich läßt und in den Wald eintaucht.









Links in den sanften Hügeln unter mir sehe ich noch Olivenbäume, rechts von mir baut sich die Sierra de Cazorla auf, felsig, schroff, unkultiviert. Ich biege um die nächste Ecke und stehe unvermittelt vor einem Felspanorama, das ich so hier nicht erwartet hätte. Ein Wasserfall bahnt sich seinen Weg über die senkrecht abfallenden Klippen und stürzt über 100m senkrecht in die Tiefe. Der Wind verweht das Wasser und die Gischt, so daß es fast aussieht, als würde sich der Wasserfall auf halber Höhe in Nichts auflösen. Schon wieder muß ich ein paar Minuten stehenbleiben, um mir dieses Schauspiel anzusehen, aber ich habe ja schließlich genug Zeit dafür.

Auf dem nächsten kleinen Paß sitze ich noch eine knappe Stunde im Gras herum, höre dem Wind zu, der die Bäume zaust, lese ein bißchen. Ich erinnere mich an das zufriedene Gefühl, wenn ich manchmal in Norwegen ganz alleine in den Bergen sitze und in die Landschaft schaue, mittendrin, mit aller Zeit der Welt und einer tiefen Zufriedenheit in allem. So geht es mir auch heute.

Monasterio de Montesion
Auf dem unvermeidlichen Abstieg ins Tal schiebt sich ein altes halbverfallenes Kloster in den Weg, das Monasterio de Montesion. Keine Ahnung, ob hier noch jemand wohnt, oder ob die alten Gemäuer dem Verfall preisgegeben wurden. Vom Kloster aus führt eine uralte Steinstraße rüber zum Sattel, dort beginnt die neu gegossene Betonpiste runter nach Cazorla. Mir graust ein bißchen vor diesem ersten richtig steilen Abstieg und der bangen Frage, ob meine Knie das mitmachen. (Ich darf vorwegnehmen: Sie machen.)

Die Ruine des Castillo de Salvatierra , über Cazorla thronend.
Vorerst kann ich mich erstmal mit einem tollen Blick ins Tal trösten, auf das Ziel meiner heutigen Etappe. Auf die Ruine des Castillos, prominent auf dem Berg oberhalb von Cazorla gelegen. Während ich da so gucke, sehe ich in der Entfernung zwei Menschen auf den Felsen neben dem Turm stehen, instinktiv winke ich - so von Hügel zu Hügel und von Wanderer zu Wanderer. Leider sehen sie mich nicht und machen sich an den Abstieg.

Ich tue es ihnen gleich, es ist hier im Windschatten inzwischen richtig warm geworden und die Sonne hat es jetzt am Nachmittag endgültig geschafft, sich die Oberhand zu verschaffen. Während ich die Betonpiste runterschlendere, mache ich immer wieder bei einer der zahlreichen Quellen am Weg Halt, genieße das eiskalte Wasser, das deutlich besser schmeckt als die Chlorbrühe, die ich heute morgen im Hotel aus dem Wasserhahn gezapft habe. Die Landschaft räkelt sich in der Nachmittagssonne, unter einem Felsen liegt ein alter Mann entspannt im Gras, blinzelt unter seinem Hut hervor und winkt freundlich, als ich an ihm vorbeiziehe.


Nach dem ganzen Tag einsam oben in den Bergen kommt mir Cazorla vor wie ein quirliges Gewusel im Ameisenhaufen. Es gibt noch eine weitere Burg zu bestaunen, das Castillo de la Yedra. Guck ich mir morgen an, Gott sei Dank hatte ich mir sowieso vorgenommen, hier einen Tag Pause zu machen. Das hat selbstverständlich ausschließlich damit zu tun, daß ich total vernünftig bin und nach zwei Wandertagen vorsichtigerweise eine Kniepause einlegen will. Ich beherzige hier also nur den Rat meines Orthopäden. Von selber würde ich natürlich niemals nach nur zwei Tagen Laufen schon wieder eine Pause einlegen. Dann müsste ich mich ja morgen dazu zwingen, mir in diesem schicken Städtchen die Burg, die schönen Plätze, die schmalen Gassen, die Ruine der Iglesia de Santa María und vieles mehr anzuschauen. Und womöglich sogar da durchzuschlendern. Furchtbare Aussichten...


Mein Hotel versteckt sich in einer winzigen Altstadtgasse, ich beziehe eine kleine Studentenmansarde unter dem Dach. Nach einem kleinen Nachmittagsschläfchen (hab ich mir von meinem Dachdecker-Nachbarn abgeguckt, eine sehr gute Angewohnheit) fülle ich meine Getränkevorräte im Coviran um die Ecke auf, lote schonmal vorab das Abendessensangebot aus und warte dann leicht grummelig auf das Einzige, was ich an Spanien auch nach vier Wochen einfach noch nicht so richtig gut finden kann: Abendessen erst ab 21:00 Uhr...

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