Freitag, 23.02.2018
1. Wandertag
La Línea de la Concepción nach Castillo
de Castellar (kürzer ging nicht...)
8,5h / 30km
584m hoch / 352m runter
Boah, hab ich Muffensausen. Ich wache
um 04:30 Uhr auf und kann nicht mehr einschlafen, obwohl die Stadt
endlich zur Ruhe gekommen ist. Heute geht’s los. Die gute Tour von
gestern beruhigt mich zwar ein bißchen, aber die Aussicht darauf,
heute zum ersten Mal mit dem vollen Rucksack aus dem Stand gleich
30km zu laufen, erfüllt mich durchaus mit Respekt. Wer hat sich
diese Tour eigentlich ausgedacht?
Aus logistischen Gründen pfeife ich
auf das Frühstück und packe lieber voller Inbrunst meinen Rucksack.
Zusammen mit den Wasserflaschen und dem Picknick für heute Mittag
sind es locker über 20kg. Natürlich habe ich zu viel Zeug
mitgenommen. Ich nehme immer zuviel Zeug mit. (Um es vorweg zu nehmen:
Ich habe heute den ganzen Tag im Geiste an der Liste gearbeitet, was
demnächst in die Post nach Hause kommt...)
Kurz nach Sonnenaufgang bin ich auf der
Straße. Der Berufsverkehr Richtung Gibraltar ist schon voll im
Gange, aber ich drehe mich nach Norden und laufe an der
Standpromenade entlang. Noch ist es frisch, so um die 10°, aber das
wird sich ändern. Mir kommen Menschen in Winterjacken, Schal und
Handschuhen entgegen, während ich hier mit kurzer Hose rumzuckele.
Schnell raus hier. Nach einer guten
Stunde neben der brausenden Hauptverkehrsstraße darf ich endlich
abbiegen und es wird stiller. Statt dessen halte ich jetzt auf den
absurden Ring aus Industrie zu, der die Stadt für mehrere Kilometer
fest umschließt. Raffinerien. Logistikzentren. Betonwerke. Kraftwerke.
Kalkwerke. Mehr Raffinerien. Chemiefabriken. Links sehe ich immer
noch Strand, Meer und Gibraltar. Mit Tankern.
In der Luft hängt ein ekeliger Geruch
von Erdgas, Schiffsabgasen und Chemieprodukten.
Man könnte sich fragen: Wieso postet der Mann sowas? Industrieanlagen interessieren doch nun wirklich niemanden. Aber der Vormittag mitten durch das Produktionsherz der Region, verbunden durch Röhren, Transportbänder und endlose LKW-Kolonnen, immerzu dröhnend, brausend, klopfend, brachte mir einiger der seltsamsten Stunden Wandern, die ich bisher erlebt habe. Vergewaltigte Landschaft; schmutzige Luft, deren Geruch alleine schon anzeigte, daß das hier nicht gesund sein kann; nervenzerreibender Krach aus allen Richtungen, den die eigentlich schön am Meer wohnenden Einheimischen vielleicht gar nicht mehr wahrnehmen. Erschreckend, schön und aufregend zu gleich.
Als ich San Roque erreiche, ist es
geschafft. Statt Industrie schieben sich jetzt die Bauernhöfe in die
Landschaft. Ich laufe zwar immer noch auf der Straße, aber ein paar
Kilometer später darf ich mich auf den Naturpark „Pinar el Rey“
freuen. Picknickplätze, Pinien, Schatten, Wald. Ich esse meinen
Rucksack leer, telefoniere mit Zange und fröstele glücklich unter
den Bäumen, bis es Zeit ist, weiterzugehen.
Der nächste Teil der Wanderung ist von
mir eindeutig „über-geplant“ worden. Eigentlich gibt es keinen
richtigen Weg runter ins nächste Tal, aber ich muß da irgendwie
hin. Also hatte ich mir auf Google-Maps-Theorie irgendwas
zusammengebastelt, daß jetzt auch in der Realität stimmen muß,
sonst gibt’s kilometerweite Umwege. Bitte nicht heute.
Da, wo ich im Geiste statt freier Fahrt
einen Zaun vermutet habe, steht auch einer und versperrt mir den Weg.
Mit Stacheldraht obendrauf. Grrrr... Ich laufe im tiefen Sand ein
Stück auf und ab, habe Glück – und finde ein Tor. Runter zum
Kanal, mitten durch die erste Kuhherde, die nächsten 1-2h
versprechen entspanntes Wandern ohne Höhenunterschied am Kanal, mit
schattigen Bäumen nebendran. Eine halbe Stunde später komme ich um
die Ecke und mein Hasenfuß-Herz zieht sich zusammnen: Ein paar
Arbeiter von der örtlichen Wasserversorgung sind am Kanal zugange.
Eigentlich dürfte ich hier gar nicht sein, so zumindest das Gefühl,
daß ich bei der Recherche gewonnen hatte. Überall Verbotsschilder
und so. Interessiert aber keine Sau. Wir grüßen alle freundlich und
ziehen unserer Wege.
Inzwischen ist es warm geworden,
vielleicht so 17°, in der Sonne fühlt es sich aber nach deutlich
mehr an. Ich hätte Lust auf eine Erfrischung, also sogar SCHWER Lust
auf eine Erfrischung. Die erste Bar unten an der Straße lasse ich
links liegen, weil da gerade Nachmittags-Hochbetrieb ist, das kriege
ich jetzt rein sozial nicht gebacken. Aber eine Stunde weiter, schon
in Aufstieg nach Castliio de Castellar trifft der Weg nochmal kurz die Straße und die
nächste strategisch gut platzierte Bar. Gerade sind schon 4 Deutsche
angekommen, die ich aus Boshaftigkeit nicht über meine Nationalität
aufkläre (so kann ich mir ihre Mutmaßungen anhören, was ich mit
dem Riesenrucksack so vorhabe; das Wort „Jakobsweg“ fiel auch
schon...). Immerhin gelingt meine erste Bestellung von einem Bier und
einer Cola auf Spanisch recht gut. Also sitze ich noch eine halbe
Stunde auf der Terrasse und sammle Kraft für den letzten Aufstieg.
Und der hat es in sich. Gar nicht von
den Zahlen her (sind nur 200 Höhenmeter), aber nach den bisher 7,5h
Weg braucht der Aufstieg meine letzten Kräfte. Ein toller uralter
Pfad, mit rohen Steinen gepflastert, schraubt sich am Hang hoch in
Richtung Castillo de Castellar Kehre um Kehre werde ich mit immer schöneren
Aussichten belohnt, bis zurück zum Felsen von Gibraltar. Kurz bevor
ich die Straße erreiche, muß ich den Rucksack doch nochmal
hinwerfen, das restliche Wasser austrinken und durchatmen. Ich bin
halt nicht so gut am Berg... Das muß sich allerdings dringend
ändern, wenn die nächsten 3 Monate Spaß machen sollen.
Oben in Castillo de Castellar kommt der Tourismus wieder,
ich umrunde die alte Burg, auf der ich heute Abend übernachten
werde. Mein Zimmer ist – mit einem Wort gesagt – großartig.
Aussicht, Panorama, Fernblick nach Norden, Osten und Süden. Außerdem habe ich
noch nie ein Hotelzimmer mit sage und schreibe neun Fenstern gehabt.
Das Bad hat eine Badewanne, in die ich mich wohlig sinken lasse und
plötzlich ist alles super.
Ich fühle mich einigermaßen fit,
nichts tut übermäßig weh, nur an den Fersen habe ich zwei wunde
Stellen, die ich mir am Vormittag mit den doofen Wandersocken
gelaufen hatte. Insgesamt für den ersten Tag eigentlich vollkommen ok.
Als es dunkel wird, laufe ich durch die wenigen verwunschenen Gassen der Wohnhäuser, die sich innerhalb der Burgmauern drängeln. Das einzige Restaurante macht um 20:00 Uhr auf, ich drängele mich ganz deutsch schon ein paar Minuten früher rein. Viel Fleisch, viel Knoblauch, so könnte man den leckeren Abend zusammenfassen. Heute Abend werde ich vor dem Schlafengehen alle 18 Fensterläden meiner Zimmerfester aufmachen, ich freue mich schon auf den Sonnenaufgang.
Morgen ein "kleiner" Tag mit 6h, übermorgen dann mein Angst-Tag: 9-11h durch die Berge, ohne echte Ausstiegsmöglichkeit, mit 1.200m Aufstieg. Vielleicht kommt dann doch spontan das Zelt zum Einsatz, wenn ich mich so gar nicht weiterschleppen mag...
(P.S.: Und wer JETZT nach unten scrollt, kann sich bei Interesse noch ein paar Fotos von Gibraltar im strahlenden Sonnenschein anschauen.)
(P.S.: Und wer JETZT nach unten scrollt, kann sich bei Interesse noch ein paar Fotos von Gibraltar im strahlenden Sonnenschein anschauen.)
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