Dienstag, 27. Februar 2018

Der erste Tag...

Freitag, 23.02.2018
1. Wandertag
La Línea de la Concepción nach Castillo de Castellar (kürzer ging nicht...)
8,5h / 30km
584m hoch / 352m runter

Boah, hab ich Muffensausen. Ich wache um 04:30 Uhr auf und kann nicht mehr einschlafen, obwohl die Stadt endlich zur Ruhe gekommen ist. Heute geht’s los. Die gute Tour von gestern beruhigt mich zwar ein bißchen, aber die Aussicht darauf, heute zum ersten Mal mit dem vollen Rucksack aus dem Stand gleich 30km zu laufen, erfüllt mich durchaus mit Respekt. Wer hat sich diese Tour eigentlich ausgedacht?

Aus logistischen Gründen pfeife ich auf das Frühstück und packe lieber voller Inbrunst meinen Rucksack. Zusammen mit den Wasserflaschen und dem Picknick für heute Mittag sind es locker über 20kg. Natürlich habe ich zu viel Zeug mitgenommen. Ich nehme immer zuviel Zeug mit. (Um es vorweg zu nehmen: Ich habe heute den ganzen Tag im Geiste an der Liste gearbeitet, was demnächst in die Post nach Hause kommt...)

Kurz nach Sonnenaufgang bin ich auf der Straße. Der Berufsverkehr Richtung Gibraltar ist schon voll im Gange, aber ich drehe mich nach Norden und laufe an der Standpromenade entlang. Noch ist es frisch, so um die 10°, aber das wird sich ändern. Mir kommen Menschen in Winterjacken, Schal und Handschuhen entgegen, während ich hier mit kurzer Hose rumzuckele.

Schnell raus hier. Nach einer guten Stunde neben der brausenden Hauptverkehrsstraße darf ich endlich abbiegen und es wird stiller. Statt dessen halte ich jetzt auf den absurden Ring aus Industrie zu, der die Stadt für mehrere Kilometer fest umschließt. Raffinerien. Logistikzentren. Betonwerke. Kraftwerke. Kalkwerke. Mehr Raffinerien. Chemiefabriken. Links sehe ich immer noch Strand, Meer und Gibraltar. Mit Tankern.

In der Luft hängt ein ekeliger Geruch von Erdgas, Schiffsabgasen und Chemieprodukten. 





Man könnte sich fragen: Wieso postet der Mann sowas? Industrieanlagen interessieren doch nun wirklich niemanden. Aber der Vormittag mitten durch das Produktionsherz der Region, verbunden durch Röhren, Transportbänder und endlose LKW-Kolonnen, immerzu dröhnend, brausend, klopfend, brachte mir einiger der seltsamsten Stunden Wandern, die ich bisher erlebt habe. Vergewaltigte Landschaft; schmutzige Luft, deren Geruch alleine schon anzeigte, daß das hier nicht gesund sein kann; nervenzerreibender Krach aus allen Richtungen, den die eigentlich schön am Meer wohnenden Einheimischen vielleicht gar nicht mehr wahrnehmen. Erschreckend, schön und aufregend zu gleich.

Als ich San Roque erreiche, ist es geschafft. Statt Industrie schieben sich jetzt die Bauernhöfe in die Landschaft. Ich laufe zwar immer noch auf der Straße, aber ein paar Kilometer später darf ich mich auf den Naturpark „Pinar el Rey“ freuen. Picknickplätze, Pinien, Schatten, Wald. Ich esse meinen Rucksack leer, telefoniere mit Zange und fröstele glücklich unter den Bäumen, bis es Zeit ist, weiterzugehen.

Der nächste Teil der Wanderung ist von mir eindeutig „über-geplant“ worden. Eigentlich gibt es keinen richtigen Weg runter ins nächste Tal, aber ich muß da irgendwie hin. Also hatte ich mir auf Google-Maps-Theorie irgendwas zusammengebastelt, daß jetzt auch in der Realität stimmen muß, sonst gibt’s kilometerweite Umwege. Bitte nicht heute.

Da, wo ich im Geiste statt freier Fahrt einen Zaun vermutet habe, steht auch einer und versperrt mir den Weg. Mit Stacheldraht obendrauf. Grrrr... Ich laufe im tiefen Sand ein Stück auf und ab, habe Glück – und finde ein Tor. Runter zum Kanal, mitten durch die erste Kuhherde, die nächsten 1-2h versprechen entspanntes Wandern ohne Höhenunterschied am Kanal, mit schattigen Bäumen nebendran. Eine halbe Stunde später komme ich um die Ecke und mein Hasenfuß-Herz zieht sich zusammnen: Ein paar Arbeiter von der örtlichen Wasserversorgung sind am Kanal zugange. Eigentlich dürfte ich hier gar nicht sein, so zumindest das Gefühl, daß ich bei der Recherche gewonnen hatte. Überall Verbotsschilder und so. Interessiert aber keine Sau. Wir grüßen alle freundlich und ziehen unserer Wege.
Inzwischen ist es warm geworden, vielleicht so 17°, in der Sonne fühlt es sich aber nach deutlich mehr an. Ich hätte Lust auf eine Erfrischung, also sogar SCHWER Lust auf eine Erfrischung. Die erste Bar unten an der Straße lasse ich links liegen, weil da gerade Nachmittags-Hochbetrieb ist, das kriege ich jetzt rein sozial nicht gebacken. Aber eine Stunde weiter, schon in Aufstieg nach Castliio de Castellar trifft der Weg nochmal kurz die Straße und die nächste strategisch gut platzierte Bar. Gerade sind schon 4 Deutsche angekommen, die ich aus Boshaftigkeit nicht über meine Nationalität aufkläre (so kann ich mir ihre Mutmaßungen anhören, was ich mit dem Riesenrucksack so vorhabe; das Wort „Jakobsweg“ fiel auch schon...). Immerhin gelingt meine erste Bestellung von einem Bier und einer Cola auf Spanisch recht gut. Also sitze ich noch eine halbe Stunde auf der Terrasse und sammle Kraft für den letzten Aufstieg.

Und der hat es in sich. Gar nicht von den Zahlen her (sind nur 200 Höhenmeter), aber nach den bisher 7,5h Weg braucht der Aufstieg meine letzten Kräfte. Ein toller uralter Pfad, mit rohen Steinen gepflastert, schraubt sich am Hang hoch in Richtung Castillo de Castellar Kehre um Kehre werde ich mit immer schöneren Aussichten belohnt, bis zurück zum Felsen von Gibraltar. Kurz bevor ich die Straße erreiche, muß ich den Rucksack doch nochmal hinwerfen, das restliche Wasser austrinken und durchatmen. Ich bin halt nicht so gut am Berg... Das muß sich allerdings dringend ändern, wenn die nächsten 3 Monate Spaß machen sollen.

Oben in Castillo de Castellar kommt der Tourismus wieder, ich umrunde die alte Burg, auf der ich heute Abend übernachten werde. Mein Zimmer ist – mit einem Wort gesagt – großartig. Aussicht, Panorama, Fernblick nach Norden, Osten und Süden. Außerdem habe ich noch nie ein Hotelzimmer mit sage und schreibe neun Fenstern gehabt. Das Bad hat eine Badewanne, in die ich mich wohlig sinken lasse und plötzlich ist alles super. 

 




Ich fühle mich einigermaßen fit, nichts tut übermäßig weh, nur an den Fersen habe ich zwei wunde Stellen, die ich mir am Vormittag mit den doofen Wandersocken gelaufen hatte. Insgesamt für den ersten Tag eigentlich vollkommen ok.

Als es dunkel wird, laufe ich durch die wenigen verwunschenen Gassen der Wohnhäuser, die sich innerhalb der Burgmauern drängeln. Das einzige Restaurante macht um 20:00 Uhr auf, ich drängele mich ganz deutsch schon ein paar Minuten früher rein. Viel Fleisch, viel Knoblauch, so könnte man den leckeren Abend zusammenfassen. Heute Abend werde ich vor dem Schlafengehen alle 18 Fensterläden meiner Zimmerfester aufmachen, ich freue mich schon auf den Sonnenaufgang.

Morgen ein "kleiner" Tag mit 6h, übermorgen dann mein Angst-Tag: 9-11h durch die Berge, ohne echte Ausstiegsmöglichkeit, mit 1.200m Aufstieg. Vielleicht kommt dann doch spontan das Zelt zum Einsatz, wenn ich mich so gar nicht weiterschleppen mag...


(P.S.: Und wer JETZT nach unten scrollt, kann sich bei Interesse noch ein paar Fotos von Gibraltar im strahlenden Sonnenschein anschauen.)

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